Wie die Antinori-Schwestern ihr Weingeschäft, das seit Jahrhunderten in Familienhand ist, anpassen, um der globalen Erwärmung standzuhalten.

 

Unter der toskanischen Sonne hatte Allegra Antinoris klebrige Hände von den frisch zerdrückten Trauben. Die Weinberge der Region waren voller Aktivität, als reife Sangiovese-Reben von den Rebstöcken abgeschnitten wurden und sanft in den Hotten landeten. 1979, in der warmen Herbstsaison, wollten die Anti nori-Schwestern Albiera, Allegra und Alessia den Erwachsenen um sie herum nacheifern. Ihr Vater, Piero, willigte ein und erlaubte seinen jungen Töchtern, ein paar Flaschen ihres eigenen Weins zu kreieren, die sie an den folgenden Weihnachtstagen mit der Familie teilen konnten. In jenem Jahr gab es nicht nur Weingärung im Keller, sondern auch eine bisher undenkbare Frage: Könnten die nächsten Oberhäupter dieser fl orentinischen Weinfamilie zum ersten Mal in ihrer 600-jährigen Geschichte Frauen sein?

 

Der Würfel war für die drei Antinori Töchter gefallen und sie wurden die Nachfolgerinnen ihres visionären Vaters. Als Pieros Vater Niccolò ihm 1966 die Zügel übergab, war die Familienführung noch lange nicht gesichert. Chianti – und der toskanische Wein im Allgemeinen – wurde immer noch als billiger Wein wahrgenommen, der in einem urigen Strohkorb, dem Fiasco, verpackt war. Erschwerend kam noch hinzu, dass die italienische Weinindustrie Mitte der 80er Jahre von einem Methanolskandal erschüttert wurde, als eine Reihe von Weinbauern in Nordwest-italien ihren Wein mit Methanol pantschten, was zu 26 Todesfällen führte. In diesem düsteren Zusammenhang war Antinori ein strahlendes Licht. Das britische Gastgewerbe Whitbread wur-de Geschäftspartner und wie Piero sich in seinem Buch über die Familiengeschichte „The Hills of Chianti“ erinnert, lauteten die lokalen Schlagzeilen „Die Ausländer marschieren ein“. Es stellte sich für den toskanischen Winzer als eine unschmackhafte Mischung heraus. 1992 überraschte er seine Investoren, indem er die Mittel beschaff te, um wieder die Kontrolle über sein Geschäft zu übernehmen. Somit ebnete er auch den Weg für seine Töchter als Nachfolgerinnen.

 

Wie Antinori sich mittels Innovation dem Klimawandel anpasst 

 

Heute sieht sich das Unternehmen einer Reihe anderer Bedrohungen gegenüber. Obwohl die Marke mittlerweile fest als Kleinod in der zunehmend angesehenen italienischen Weingemeinschaft etabliert ist, muss sich die 26. Generation von Antinori mit den bereits erkennbaren Herausforderungen des Klimawandels auseinandersetzen. Seit den späten 1970er Jahren, als die Antinori-Schwestern ihre ersten Weine herstellten, sind die Sommertagestemperaturen um bis zu 2 °C gestiegen, was bedeutet, dass die Trauben schneller reifen und die Ernte eher im September als im Oktober beginnt. Bei einer frühen Lese wird die Gefahr des Herbstregens vermieden, der manchmal zu faulen Trauben führt. Aber eine lange, langsamere Reifezeit sorgt für Weine mit größerer Komplexität und Frische. Hinzu kommt, dass eine Zunahme langer Trockenperioden im Frühjahr und Sommer die Reben belastet und den Leseertrag senkt, was dazu führt, dass weniger Wein verkauft werden kann.


Das sich verändernde Klima bedeutet, dass die Antinoris nun den Anbau, wie ihre Vorfahren ihn betrieben haben, neu überdenken müssen. „Die größte Herausforderung für unsere Generation ist natürlich die globale Erderwärmung, und wir müssen sie jetzt bewältigen“, sagt Allegra. „Die Ernte findet jetzt immer später statt als damals, als ich ein Kind war.“ Auf der Suche nach kühleren Standorten macht sich das Antinori-Team auf den Weg in die Berge, da die Temperaturen in der höheren Lage niedriger sind. „Wir mögen Regionen, die frische und fruchtige Weißweine hervorbringen“, erklärt sie. „Zum Beispiel auf unserem Monteloro-Anwesen in den Bergen hinter Florenz. Dort bauen wir Riesling und Pinot Bianco in einer Höhenlage von 500 Metern an.“ In Weinbergen von der Unterseite der italienischen Ferse bis zur Oberseite des Oberschenkels und über den Stiefel hinaus (die Antinoris haben auch Standorte in Übersee in den USA und Chile) sind Versuche im Gange, die Reben jetzt und zukünftig an wärmere, trockenere Bedingungen anzupassen. Die aktuelle Arbeit umfasst Experimente mit Sorten, die besser für heiße Bedingungen geeignet sind, das Veredeln von Reben auf trockenheitsbeständige Wurzelstöcke und die Anpassung von Techniken, um zu verhindern, dass Weinblätter bei heißesten Temperaturen verdorren. 

 

Konvention brechen, Tradition respektieren: Wie die Antinori-Schwestern das Familienunternehmen erschüttern.  

 

Die Antinori-Frauen verändern nicht nur die Art und Weise, wie das Unternehmen seinen Wein anbaut, sondern auch die Wahrnehmung der Branche als eine reine Männerwelt. Die Präsidentin des Unternehmens, die älteste Tochter Albiera, ist eine von immer mehr Frauen, die im 21. Jahrhundert erfolgreiche italienische Weinunternehmen leitet. Der Aufstieg der drei Schwestern in Antinoris Chefetage konnte zeitlich gar nicht besser passen. 2011 folgte Italien Norwegens Führung bei der Schaffung von Geschlechterquoten für börsennotierte Unternehmen. 2007 entfiel auf Frauen in den italienischen börsennotierten Unternehmen etwas mehr als eine von 20 Vorstandspositionen; ein Jahrzehnt später repräsentierten die Frauen schon fast ein Drittel aller Vorstandsmitglieder. Auch Antinori, ein bewusst nicht börsennotiertes Unternehmen, kann sich damit rühmen. „Italien ist ein sehr altes, entspanntes Land, aber die Dinge ändern sich jetzt wirklich“, sagt Allegra. „Heutzutage arbeiten viel mehr Frauen in der Weinindustrie. Das größte Problem ist, dass es in Italien im Moment nicht viel Arbeit gibt.“


Anfang 2019 lag die Arbeitslosenquote in Italien bei über 10 Prozent. Dennoch beschäftigt Antinori rund 450 Mitarbeiter in seinen Weingütern, wobei weitere 400 Saisonarbeiter die Trauben je nach Bedarf beschneiden, pflücken und pressen. Von 300 Hektar Weingärten zu Zeiten des Vaters wuchs das Unternehmen auf eine Anbaufläche von 2.500 Hektar an, die sich in Italien, im kalifornischen Nappa Valley und in Chile befindet. Doch das Herz des Unternehmens ist immer noch in seiner Geburtsstätte, in der Toskana. Hier entstehen seine begehrtesten Weine, darunter Solaia und Tignanello. Diese Weine verkörpern die Philosophie des Unternehmens und verbinden Innovation mit Tradition. Darüber hinaus setzen sie den Standard für Chianti, die berühmteste Region der Toskana.


Die Antinoris setzen die innovative Methode der Familie fort. Inspiriert von der Region Bordeaux in Frankreich und Reisen nach Kalifornien, hatte ihr Vater neue Rebsorten für den toskanischen Boden eingeführt, wie Cabernet Sauvignon und Cabernet Franc, sowie neue Techniken, einschließlich der Reifung der Weine in französischen Fässern. Im nahegelegenen Bolgheri arbeitete sein Onkel Mario Incisa della Rocchetta ebenfalls an einer Bordeaux-inspirierten Mischung – Sassicaia. Die strikten italienischen Weingesetze bedeuteten, dass diese nicht konformen Weine als vino da tavola – eine Kategorie für niedrige Tafelweine – klassifiziert werden mussten. Doch es wurde schon bald klar, dass diese rebellischen Rotweine der überwiegenden Mehrheit der gesetzestreuen toskanischen Weine haushoch überlegen waren. Somit wurden die italienischen Gesetzesgeber gezwungen, die Regeln zu ändern und diese Weine mit aufzunehmen. 

 

Die Auswahl an Weinen, die von Antinoris produziert werden, richtet sich nicht nur an wohlhabende Sammler und Michelin-Sterne-Restaurants. Die Marke Santa Cristina, die oft in Supermarktregalen zu finden ist, macht rund 30 Prozent der Gesamtproduktion des Unternehmens aus. Sie beinhaltet toskanische Rotweinverschnitte und umbrische Weißweine ab etwa 7 Euro pro Flasche. Im Gegensatz zu den renommierten Weingütern wie Tignanello, Pèppoli und Pian delle Vigne sind Name und Familienwappen von Marchesi Antinori nicht auf dem Flaschenetikett zu finden. „Wir besitzen verschiedene Weingüter und jedes hat seine eigene Identität.“ Sie verfügen jeweils über ihre eigene Struktur und ihr eigenes Team“, erklärt Allegra. „Darüber hinaus gibt es auf jedem Weingut verschiedene Weinstile unterschiedlicher Qualität. Es ist wie bei einer Kuh – man hat nicht nur Filet, man hat die Rippen und auch die anderen Stücke.“ Bestimmte Weine, wie der Tignanello, der nur aus dem Weinberg von Tignanello hergestellt werden darf, werden in einer schlechten Saison, wenn die Trauben keine gute Qualität haben, erst gar nicht produziert.


Die Familie Antinori ist in einer einzigartigen Position: Mit mehr als 600 Jahren Erfahrung und einer langfristigen Vision, die nicht auf durstige Aktionäre angewiesen ist, kann man einfacher mutige Entscheidungen treffen, um Marke und Familiennamen zu schützen, oder die Regeln der traditionellen italienischen Weinherstellung brechen. Die Familie ist sich jedoch bewusst, dass selbst 26 Generationen, die Wein angebaut und verkauft haben, nicht unbedingt die Zukunft des Unternehmens garantieren. Mutter Natur bedroht die Überlebensfähigkeit vieler Weingüter der Welt, und die drei Antinori-Schwestern verstehen, dass sie Lösungen finden müssen, um sicherzustellen, dass auch ihre Kinder ihre geliebte toskanische Erde erben können. 

 

 

 

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Geschichte der Weinreben

Mittlerweile in der 26. Generation produzieren die Antinoris seit 600 Jah-ren ihren Wein auf dem toskanischen Land, wie die bewegte Geschichte des Unternehmens verdeutlicht:

  • 1385: Die Seidenhandelsfamilie di Antinoris schließt sich der Florentiner Winzergilde an.
  • 1685: Poet, königlicher Arzt und Weingutachter Francesco Redi lobt die Antinori-Weine in seinem Gedicht „Bacco in Toscana“.
  • 1716: Die ersten offiziellen Grenzen der Chianti-Region werden geschaffen.
  • 1850: Die Antinoris ergänzen ihren Landbesitz mit dem Kauf des Anwesens Tignanello.
  • 1898: Geburt der modernen Epoche für Antinori-Weine mit der Gründung der Firma Marchesi Antinori, die ihrem Weingeschäft eine formale Struktur verleiht.
  • 1931: Niccolò Antinori heiratet Carlotta Della Gherardesca. Zu ihrer Mitgift ge-hört das Land, das zum Weingut Guado al Tasso der Familie in Bolgheri wird .
  • 1940: Niccolò Antinori beschließt, zusätzlich zu den Rotweinen in der Toskana auch Weißweine zu produzieren und kauft das Anwesen Castello della Sala in Umbrien.
  • 1943: Während des Zweiten Weltkriegs wird die Hauptresidenz der Familie, Villa Antinori, bombardiert, wodurch die Familie gezwungen wird , nach Tignanello umzuziehen. Die Keller im nahegelegenen San Casciano werden durch die sich zurückziehende deutsche Armee beschädigt und dann von amerikanischen Befreiungskräften besetzt.
  • 1957: Die Antinoris eröffnen Cantinetta Antinori, ein kleines Restaurant mit Weinbar, in dem die Gäste die Weine der Familie genießen können. (Mittlerweile gibt es diese Restaurants auch in Wien, Zürich, Moskau und Monte Carlo.)
  • 1966: Niccolò Antinori tritt in den Ruhestand und sein Sohn Piero (Vater von Albiera, Allegra und Alessia) wird Präsident des Unternehmens.
  • 1971: Die Geburtsstunde des ersten Tignanello-Weins.1978: Die Antinoris produzieren auf dem Tignanello Gut ihren zweiten Vorzeigewein, den Solaia.
  • 1980er Pieros Töchter Albiera, Allegra und Alessia steigen in den Familien-betrieb ein.
  • 1985: Die Familie zelebriert 600 Jahre Weinanbau mit dem Kauf von Pèppoli, einem 100 Hektar großen Anwesen, das 5 km von Tignanello entfernt liegt.
  • 1995: Die Antinoris kaufen das Anwesen Pian delle Vigne in der toskanischen Region Montalcino und stellen im Jahr 2000 ihren ersten Brunello vor.
  • 2012: Eröffnung der Weinkellerei Antinori nel Chianti Classico. Mit mehr als 100 Mitarbeitern begrüßt sie jedes Jahr 45.000 Besucher.
  • 2016: Albiera Antinori steigt als erste Frau offiziell in die Geschäftsführung des Unternehmens ein.

 

Rebecca Gibb ist Weinjournalistin und 'Master of Wine' mit Sitz im Nordosten Englands.

 

Dieser Artikel erschien erstmals in der Mai-Ausgabe 2019 von WERTE, dem Kundenmagazin von Deutsche Bank Wealth Management.

 

 

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