In seinem ersten Leben war Klaus Wiegandt Chef der Metro AG. In seinem zweiten Leben will er die Erde retten. Damit gehört er zu den Planern der größten Aufforstungsaktion der Menschheitsgeschichte.
Ein Interview mit einem der Sprecher unseres Wealth with Responsibility (WwR) Forums 2019.
Sie wollen mit einer gigantischen Aufforstungsaktion der Erderwärmung entgegenwirken. Was muss man erlebt haben, um auf diese Idee zu kommen?
Bei mir begann der Umdenkungsprozess Anfang der 1990er, als ich als Chef der Metro AG häufig in China unterwegs war. Ich begriff plötzlich, was sich dort mit welcher Wucht entwickelt – mit allen Konsequenzen für Energie- und Ressourcenverbrauch. Wenn man das hochrechnete und in Betracht zog, dass auch andere Schwellenländer wie Indien oder Brasilien diesen Weg gehen würden, wurde relativ früh klar, dass wir ein Riesenproblem bekommen werden und der Klimawandel die Herausforderung des nächsten Jahrhunderts sein wird.
Was genau hat Sie in China schockiert?
Die Geschwindigkeit, mit der Hochhäuser gebaut wurden. Man war dort, kommt ein Jahr später wieder – plötzlich ragen an der Stelle, wo eben noch kleine Häuser standen, Wolkenkratzer in den Himmel. Es war deutlich zu sehen, dass das gigantische Ausmaße annimmt. Aber es ist im Grunde noch viel schlimmer gekommen, als ich es damals erahnen konnte.
War es als Chef eines Konzerns wie der Metro nicht möglich, so umzusteuern, wie Sie es sich vorgestellt hatten?
In den 1990er Jahren war Nachhaltigkeit in Unternehmen kein ernsthaftes Thema. Selbst heute könnte ich, wäre ich wieder Konzernführer, vielleicht nur zu dreißig Prozent nachhaltig sein. Die Rahmenbedingungen stimmen einfach nicht. Bei fehlenden gesetzlichen Rahmenbedingungen läuft man Gefahr, dass ein Unternehmen nicht mehr konkurrenzfähig ist. Mich hat es nicht gewundert, dass in einer Umfrage der UNO vor etwa zwei Jahren eintausend CEOs von der Politik härtere Vorgaben gefordert haben, damit wir uns mehr Richtung Nachhaltigkeit entwickeln können. In dem Moment, wo der Rahmen gegeben ist, haben wir kein Wettbewerbsproblem mehr – dann sind alle gleichgestellt.
Sie haben die Handelsbranche dann im Alter von 60 Jahren verlassen, um noch einmal neu anzufangen …
Selbst meine Familie hatte nicht geglaubt, dass ich das auf dem Höhepunkt meiner Karriere tun würde. Aber ich war fest entschlossen. Heute weiß ich, dass es eine der besten Entscheidungen meines Berufslebens war.
Fühlten Sie sich vital genug für Ihre neue Mission?
Ich war noch nicht verbraucht, ich war mit 60 voller Elan, sodass ich wusste: Das schaffst du! Ich wollte mich den großen Themen, den Grundfragen des Lebens und den wichtigen gesellschaftspolitischen Aufgaben widmen. Ich habe mich zwei Jahre lang vergraben und nur wissenschaftliche Literatur gelesen über die ganzen Bereiche, in die ich einsteigen wollte. Danach gründete ich die Stiftung „Forum für Verantwortung“, um auch meiner Familie zu zeigen: Das ist keine Euphorie des Augenblicks, ich möchte mich langfristig für die Gesellschaft engagieren!
Sie haben dann sehr viele Bücher quer durch alle Nachhaltigkeitsbereiche herausgegeben, mit Veranstaltungen Debatten angestoßen, sich nun aber auf den Klimawandel konzentriert. Warum?
Weil ich im Unterschied zu vielen Wissenschaftlern und auch Aktivisten der Auffassung bin, dass in der Klimaschutzpolitik etwas gehörig falsch läuft. Man schreibt Resolutionen, beglückwünscht sich dazu, überreicht sie Politikern, macht ein Gruppenbild, bedenkt aber nicht, dass der Politiker nach Hause geht, die Resolution seinem Stab weitergibt und sich das Thema damit erledigt hat.
„Die meisten Menschen sind viel zu oberflächlich über die wirklichen Folgen eines ungebremsten Klimawandels informiert“
Daher haben Sie die Stoßrichtung Ihres Engagements verändert?
Ja, Richtung Zivilgesellschaft. Die müssen wir mobilisieren, sie im Prinzip in den Stand versetzen, dass sie selbst beurteilt, in welche Richtung wir gehen wollen. Wir müssen diesen großen Diskurs über Maßnahmen gegen den Klimawandel mit und in der Zivilgesellschaft führen. Die meisten Menschen sind viel zu oberflächlich über die wirklichen Folgen eines ungebremsten Klimawandels informiert. Viele denken doch: Wir haben jetzt das Klimaschutzabkommen von Paris. Das wird schon irgendwie laufen. Tut es nicht! Der Vertrag beruht auf Freiwilligkeit und sieht keine Sanktionen vor. Die große Gefahr besteht darin, dass wir uns einlullen lassen und nicht merken, dass es fünf nach zwölf ist – und nicht fünf vor zwölf. Wir laufen Gefahr, Kipppunkte im Klimasystem zu überschreiten, die danach nicht wiederherstellbar sind. So führt die stark gestiegene Erderwärmung zu einer Radikalisierung des Wettergeschehens mit ernsten Problemen für die weltweiten Ernten.
Um das berühmte Zwei-Grad-Ziel zu erreichen – also das Halten der Erderwärmung unter zwei Grad gemessen am Wert des vorindustriellen Zeitalters –, müssten inzwischen drastische Entscheidungen getroffen werden …
Wir müssten den Ferntourismus stark drosseln. Wir müssten den Kohleausstieg weltweit viel früher wagen. Wir müssten die Subventionen im Bereich der fossilen Energieträger, die sich weltweit immerhin noch auf 500 bis 600 Milliarden Dollar pro Jahr belaufen, streichen. Das alles wäre politisch kaum durchsetzbar, aber auch sozialpolitisch nicht zu verantworten.
Hier stehen kurzfristige Interessen gegen langfristige Notwendigkeiten?
Ja, wir könnten auf alles verzichten, aber wir können keine zehn Tage auf Brot und Wasser verzichten. Durch
einen ungebremsten Klimawandel wird die Landwirtschaft zu dem globalen Problem für die Menschheit. Wenn die Menschen das verstehen, dann werden sie auch bereit sein, dafür ein- und aufzustehen und Druck auf die Politik auszuüben.
Darum nun Ihre Kampagne für eine Aufforstung. Welche Bedeutung haben die Wälder für den Klimaschutz?
Seit etwa 20 Jahren empfehlen Forstwissenschaftler zusätzlich zu anderen Klimamaßnahmen den sogenannten biotischen Ansatz. Der besteht darin, die Abholzung der Regenwälder zu stoppen sowie klimarelevante Aufforstungen vorzunehmen.
„Klimarelevant“ bedeutet in Zahlen?
Um der Atmosphäre spürbar Kohlendioxid zu entziehen, müssen wir 350 Milliarden Bäume pflanzen. Mindestens. Das ist die Untergrenze. Es nutzt nichts, wenn jeder in seinem Vorgarten ein Bäumchen pflanzt. Wir müssen im gigantischen Ausmaß aufforsten. Und zwar in den Tropen und Subtropen, weil in diesen Regionen von den Bäumen dreimal so viel Kohlendioxid absorbiert wird wie in unseren Breiten. Die Buche nimmt im Jahr zehn Kilogramm CO₂ auf, ein Mahagonibaum aber dreißig Kilogramm. Wir müssen es also dort machen.
Dafür brauchen Sie Flächen …
… die zehnmal so groß sind wie Deutschland. Die Welternährungsorganisation FAO hat nachgewiesen, dass wir für die Aufforstung in den Tropen und Subtropen rund eine Milliarde Hektar Flächen haben, die nicht in Konkurrenz stehen zur Nahrungsmittelproduktion. Es wird ja immer wieder behauptet, Aufforstung habe das Problem, dass sie mit dem Ackerbau in Kollision gerate. Das stimmt nicht. Das sind Brachen und sehr stark degradierte Regenwälder, in die wir wieder reinmüssen. Zuallererst müssen wir aber unbedingt einen Stopp des Abholzens durchsetzen.
Und das ist wiederum eine politische Frage. Da müssen wir nur auf die Rodungspläne des neuen brasilianischen Präsidenten schauen. Er will sogar an bislang geschützte Territorien ran.
Aber warum? Weil die Industrie mit riesigen Geldern lockt und ihn ködert.
Deshalb müssen Sie vermutlich mit diesen Leuten Deals machen.
Ja, das muss man im Rahmen der UNO tun und mit der Unterstützung der G20. Dafür brauchen wir Geld. US-Wissenschaftler haben ausgerechnet, wie viel heute Entwicklungs- und Schwellenländer aus den Industriestaaten bekommen, wenn sie abholzen und diese Flächen für Palmöl- oder Sojaplantagen freigeben: Das sind knapp 50 Milliarden Dollar jährlich. Das heißt, wir müssen mit denen Verträge machen, durch die dieses Geld garantiert wird. Aber wir müssen auch überwachen, dass der Deal eingehalten wird, dass eben nicht trotzdem ein illegaler Kahlschlag stattfindet. Wenn wir gleichzeitig in diesen Regenwäldern aufforsten und die Abholzung stoppen, dann entsteht dort ein Zusatznutzen, der für die Entwicklungs- und Schwellenländer unbezahlbar ist. Wir schaffen ein wirkliches Kleinklima. Wir halten die Bodenerosionen im Rahmen. Wir beeinflussen den Wasserhaushalt positiv. Wir schützen die Artenvielfalt. Und nicht zuletzt schaffen wir auch eine Million neuer Arbeitsplätze.
Aber wird dann die Rettung des Planeten nicht wieder in Hinterzimmern besprochen? Wie schafft man es, dass die Mittel auch fließen? Blicken wir nach Ecuador: Dort wartete der Präsident jahrelang auf zugesagte Fördergelder, sodass er nun doch Regenwald opferte, um Öl zu fördern.
Sie haben recht. Mein Weg ist es daher nicht, mit der Politik zu sprechen. Das bringt wenig, die hören sich das an und jammern. Mein Weg ist, mit unserer Aufforstungskampagne die Menschen zu erreichen und sie zu motivieren: „Geht auf die Straße und geht in die Sprechstunden eurer Abgeordneten. Konfrontiert sie mit diesem Thema und sagt ihnen, dass wir Geld in die Hand nehmen und als Deutschland mit gutem Beispiel vorangehen müssen!“ Es muss politisch nur der Wille da sein. Und da er bislang nicht gegeben ist, müssen wir von unten die da oben zwingen, endlich diesen Weg zu gehen. Denn der kostet keine Arbeitsplätze und stellt unsere Wirtschaft nicht auf den Kopf.
„Für Greenwashing und ökologischen Ablasshandel sind wir nicht zu haben!“
Wie viel wird es in etwa kosten, 350 Milliarden Bäume zu pflanzen?
Über zwanzig Jahre gerechnet etwa 90 Milliarden Dollar jährlich zuzüglich 50 Milliarden Dollar jedes Jahr für den Stopp der Abholzung. Diese 140 Milliarden sind für die Weltgemeinschaft, die diese Summe aufbringen muss, ein Klacks. Wir geben jedes Jahr 650 Milliarden Dollar für Werbung aus, 1500 Milliarden Dollar für die Verteidigung. Gigantisch! Die Entwicklungsländer stellen das Land zur Verfügung, aber haben nicht das Geld, die Aufforstung zu betreiben. Insgesamt gilt: Wenn wir nicht bereit sind, etwa ein Prozent des Weltsozialprodukts in den Klimaschutz zu investieren – das sind ungefähr 750 Milliarden Dollar –, dann werden wir ab Mitte dieses Jahrhunderts zwischen fünf und zehn Prozent des Weltsozialprodukts investieren müssen, um die Schäden zu beseitigen – soweit die überhaupt zu beseitigen sind. Diese Zusammenhänge müssen wir der Bevölkerung klarmachen. Das alles hat mich dazu bewogen, seit drei Jahren daran zu arbeiten, eine Kommunikationskampagne in Deutschland zur Notwendigkeit der globalen Aufforstung auf den Weg zu bringen. Dafür brauche ich jedoch Partner und Mitstreiter. Bisher sind die Stiftungen WWF Deutschland, Plant-for-the-Planet, Senat der Wirtschaft sowie die Asko Europa-Stiftung als Träger der Kampagne dabei.
Und Sie wären der Motor?
Ich bleibe zumindest in der Startphase der Motor. Die operative Führung der Kampagne wird vom WWF Deutschland und Plant-for-the-Planet übernommen. Und ich habe auch die Verpflichtung, federführend dafür zu sorgen, dass wir das Geld für diese Medienkampagne bekommen. Wenn wir das wirkungsvoll zustande bringen wollen, brauchen wir jährlich etwa fünf Millionen Euro, um Formate für Radio, Fernsehen, Internet und Anzeigen für Printprodukte herzustellen und vernünftige Medienarbeit zu machen. Drei Jahre lang wollen wir die Menschen kontinuierlich mit unserer Botschaft konfrontieren. Sie muss dabei so konkret und klar sein, dass sie Herz und Verstand erreicht. Bäume sind für die Botschaft ein gutes Transportmittel. Die Zeit ist reif für so eine Kommunikationskampagne.
Sie hoffen auch auf die Beteiligung Ihrer einstigen Branchenkollegen?
Unbedingt! Finden wir ein oder zwei große Unternehmen, die auch in ihrer bisherigen Praxis zeigen, dass sie wirklich etwas in Richtung Klimaschutz tun, dann wäre das ideal. Das wäre eine Win-win-Situation für alle, auch für die Unternehmen. Schaffen wir das nicht, müssen wir vier oder fünf Mittelständler gewinnen. Das ist für die nächsten Monate meine Hauptaufgabe. Ich bin guten Mutes.
Woher diese Zuversicht? Sie haben zuvor selbst von der ökologischen Inkompatibilität des Systems gesprochen.
Ja, aber das Bewusstsein vieler Firmenchefs ist längst da. Ich muss sie nur in die Lage versetzen, dem Aufsichtsrat sagen zu können: „Das ist eine so einmalige positive Imagekampagne für jedes Unternehmen, dass wir uns darum reißen müssen mitzumachen.“ Es gilt aber natürlich immer: Für Greenwashing und ökologischen Ablasshandel sind wir nicht zu haben!
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Geboren in Stettin, wuchs Wiegandt in Hameln auf und studierte in Hamburg. Von 1991 bis 1995 war er Vorstandsvorsitzender der Asko-Handelskette. Nach der Fusion mit Metro und Kaufhof Holding wurde er Vorstandssprecher des neuen Großkonzerns Metro AG. 1998 nahm er dort seinen Abschied und gründete im Jahr 2000 die Stiftung Forum für Verantwortung. Sie ist Wiegandts Fundament für seine Aktivitäten, die Erde zu einem besseren Ort zu machen. Er ist Sprecher auf unserem Wealth with Responsibility (WwR) Forum 2019.
Dieser Artikel erschien erstmalig in unserem Kundenmagazin WERTE 19 - "Nachhaltig denken und handeln".