In nur wenigen Jahren hat der syrische Geschäftsmann Ghassan Aboud ein Milliarden-Imperium aufgebaut. Noch mehr liegt ihm die Wohltätigkeit am Herzen, wie er in WERTE verriet

 

WERTE: Sie wurden 1967 in Syrien geboren und haben zunächst Journalis­mus studiert. Warum gerade diese Ausbildung?

Ghassan Aboud: Selbst für meine Familie war das eine überraschende Entscheidung. Denn wir sind seit Generationen Geschäftsleute. Ich aber studierte Journalismus. Als mir jedoch klar wurde, dass ich damit im Nahen Osten niemals Karriere machen würde, besann ich mich auf meine Gene und startete mein erstes Business.

 

1992 wanderten Sie in die Vereinigten Arabischen Emirate aus, zwei Jahre später starteten Sie in Sharjah einen Handel mit Automobilen, Ersatzteilen und Zubehör. Fünf Jahre später hatten Sie Ihre erste Million verdient. Wie gelang Ihnen der schnelle Erfolg?

Ich habe als einer der Ersten in den VAE das Vertriebsmodell des Re-Exports im Automobilsektor etabliert. Das bedeutete damals den Import von Produkten nach Dubai, zum Beispiel aus den USA, und anschließend zum Beispiel die Ausfuhr nach Afrika. Die Ausfuhr nach Afrika wurde als ein Re-Export aus Dubai eingestuft, was zur Folge hatte, dass keine Steuern erhoben wurden. Wir waren sozusagen in einer Freihandelszone tätig. Das war damals innovativ und ein sehr erfolgreiches Geschäftsmodell.

 

Ist Erfindungsreichtum eine Eigenschaft, die Sie charakterisiert?

Ja. Ich suche immer nach neuen Wegen und Ideen, wenn ich ein Unternehmen aufbaue. Und ich war zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Damals, vor über 25 Jahren, wollten Dubai und Abu Dhabi ein Drehkreuz für den Handel im Nahen Osten und Afrika werden – und am Ende tatsächlich für den Welthandel insgesamt. Hier gab es immer ein günstiges Geschäftsumfeld für Gründer*innen. Und so ist es bis heute.

 

Weil?

Das Geschäftsumfeld in den VAE ist sehr liberal. Es gibt nur wenig Bürokratie und eine moderate Mehr­wertsteuer. Selbst jetzt, während der Pandemie, haben meine Geschäfte in Dubai und Abu Dhabi weniger gelitten als an anderen Standorten. Die Regierung in den Vereinigten Arabischen Emiraten ist flexibel und unterstützt Unternehmer. Seit 2019 gibt es ein Golden Visa, das Unternehmer, Investoren, Wissenschaftler, Künstler, Sportler oder Menschen mit besonderen Talenten erhalten können. Es ist eine Aufenthaltsgenehmigung für fünf oder zehn Jahre, die sich automatisch verlängert.

 

 

"Es ist für mich ein Muss, den Menschen zu helfen, die bedürftig sind."

Ghassan Aboud

 

Die Art und Weise, in der Sie expandiert haben, ist außergewöhnlich: von Automobilen zu Medien, Einzelhandel, Gastronomie, Hotellerie, Immobilien. Standen dahinter strategische Entscheidungen?

Ja und nein. Der Schritt vom Autohandel zur Logistik war naheliegend und logisch. Im Kern geht es ja immer darum, von A nach B zu gelangen. 2008 habe ich aber dann tatsächlich auch ein Medienunternehmen gegründet. Zu Orient Media gehören Fernseh- und Radiosender, wir sind aber auch in Social Media aktiv. In den arabischsprachigen Ländern sind wir die Nummer eins. Hier schließt sich dann auch der Kreis zu meinem Studium! Denn ich fühlte immer das Grundbedürfnis, zu mehr Liberalität im Nahen Osten beizutragen. Unsere Expansion in den Nahrungsmittelsektor diente dazu, das Risiko der Zugehörigkeit zu einem einzigen Sektor wie etwa der Automobilbranche zu mindern, während das Gastgewerbe Teil eines geographischen Risikominderungsprogramms der Gruppe insgesamt war.

 

2018 zählte Sie das Magazin Forbes zu den 50 einflussreichsten Einwanderern der UAE. Welche Eigenschaften braucht man, um so weit zu kommen?

Harte Arbeit ist notwendig, aber sie genügt nicht. Es geht um die Details. Um Nuancen, Kleinigkeiten, die Sie anders machen, durch die Sie sich von anderen in Ihrem Geschäftsfeld unterscheiden. So entsteht der Wettbewerbsvorteil, den Sie brauchen. Ganz entscheidend ist außerdem Teamfähigkeit. Die Energien zwischen allen Mitarbeitern müssen fließen. Genauso wichtig ist es, die richtige Frau oder den richtigen Mann an der Spitze zu haben. Meine Geschäftsbereiche erfordern jeweils spezialisiertes Können. Als eine meiner Hauptaufgaben sehe ich es an, Synergien zwischen den einzelnen Teilen der Unternehmensgruppe herzustellen. 

 

Wollen Sie noch wohlhabender werden?

Was für eine Frage, auf jeden Fall! Natürlich arbeite ich daran, dass sich mein Geld vermehrt. Lassen Sie es mich genauer erklären: Am Anfang interessierte es mich nicht, wie viel ich verdiente. Es ging ums Überleben. Dann wollte ich mit meinen jeweiligen Unternehmen an der Spitze stehen, es ging also um Wettbewerb. Inzwischen geht es um Wachstum. In jedes neue Projekt investieren wir hohe Summen. Also brauchen wir immer genügend Finanzmittel. 

 

Weltweit häufen sich Klimaextreme. 2016 haben Sie in Australien die Crystalbrook Collection gegründet. Zu ihr zählen Luxushotels und Resorts, Rinderfarmen, ein Yachthafen. Sind Ihre Investitionen von rund 600 Millionen Dollar vor diesem Hintergrund nicht riskant?

Dann könnte ich nirgendwo mehr investieren. Wir leben alle in einer Welt. Wir sitzen im selben Boot, jeder von uns ist mehr denn je verantwortlich für Umwelt und Natur. Aber zu Australien: Es ist ein schöner, außergewöhnlicher Kontinent. Das ganze Jahr über Sonne, herrliche Strände, Berge, eine sehr gute Infrastruktur. Die Menschen sind sehr höflich, lebensfroh und gastfreundlich. In Zukunft will ich mit meiner Familie dort leben. Und die Aus­tralier sind führend im Ökotourismus.

 

Philanthropie ist Ihnen wichtig?

Sehr. Orient for Human Relief habe ich 2012 in der Türkei und in Europa gegründet, um mit dazu beizutragen, die Not der vielen Opfer des syrischen Bürgerkriegs zu lindern. In den vergangenen zehn Jahren bauten wir 47 Krankenhäuser und Hunderte von medizinischen Zentren auf und haben mehr als drei Millionen Menschen helfen können. Gleichzeitig sind wir Mitglied verschiedener Hilfsorganisationen. Zu ihnen zählen das Syria Relief Network und die Multifaith Alliance for Syrian Refugees (MFA) der großartigen Georgette Bennet. Sie ist eine Überlebende des Holo­caust und Präsidentin des Tanenbaum Center for Interreligious Under­standing. Zusammen haben wir auch ein Zentrum für Menschenrechte gegründet, mit dem wir Verfolgten und Flüchtlingen helfen. 

 

Zusätzlich unterstützen Sie auch Mosaik-Werkstätten in Syrien.

Das Mosaik-Handwerk hat dort eine große Bedeutung. Mit unserer Initiative unterstützen wir Flüchtlinge, wir erhalten das Handwerk und schaffen Beschäftigungsmöglichkeiten. Mit den Mosaiken, die wir dort bestellen, statten wir zum Beispiel unsere Hotels und Immobilien aus oder setzen sie weltweit an öffentlichen Plätzen ein.

 

"Meine Frau, aber auch meine Töchter binde ich in meine Geschäfte ein und nehme sie, wann immer möglich, auf meine Reisen mit. "

Ghassan Aboud

 

Menschen, die bedürftig sind, zu helfen …

… ist für mich ein Muss. Eine Pflicht der Nächstenliebe. Meine ethischen Prinzipien sind im Geschäftsleben wie privat dieselben. Ich arbeite immer für das Allgemeinwohl.

 

Finden Sie neben all Ihren Engagements noch genügend Zeit für Ihre Frau Nahed Nahban und die fünf Kinder?

Ich tue mein Bestes! Vor allem meine Frau, aber auch die Töchter binde ich in meine Geschäfte ein und nehme sie, wann immer möglich, auf meine Reisen mit. Meine Familie, ihre Gesundheit, Sicherheit und ihr Glück haben für mich oberste Priorität. Aber gleich danach folgt die Firma – mein sechstes Kind.

 

Gründen Sie weiter?

Oh ja. Seit kurzem konzentrieren wir uns auf das digitale Plattform-Geschäft. Wir haben B2B-Marktplätze geschaffen, mit denen wir Käufer*innen und Verkäufer*innen direkt verbinden. Gerade haben wir Buyparts24 für den Automobilmarkt gelauncht. Und wir haben mit Buygro einen B2B-Marktplatz geschaffen, auf dem wir Betreiber von kleinen Lebensmittelgeschäften und Cafeterien mit Lieferanten zusammenbringen. Für mich gilt: Einmal Unternehmer, immer Unternehmer!

 

 

 

 

Über Ghassan Aboud


Der in Syrien geborene Unternehmer gründete 1994 die Ghassan Aboud Group (GAG). Was mit dem Export von Automobilen und dem Handel mit Autoteilen begann, hat sich zu einem internationalen Konzern entwickelt. Zur Gruppe zählen heute Niederlassungen in den Vereinigten Arabischen Emiraten, Australien, Belgien, China, Jordanien und der Türkei. Ghassan Aboud ist unter anderem in den Bereichen Ernährung, Handel, Medien und Gesundheitswesen tätig. Mit der von ihm gegründeten Organisation Orient for Human Relief unterstützt Aboud zum Beispiel syrische Flüchtlinge im Ausland.

 

Diese Interview wurde ursprünglich in WERTE #24 veröffentlicht, unserem Kundenmagazin.

 

 

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