Der Erfolg der italienischen Modemarke Luisa Spagnoli ist seit jeher auf geniale Frauen an der Spitze zurückzuführen. Ein Porträt der Unternehmerin Nicoletta Spagnoli in unserem WERTE Magazin
Meine Urgroßmutter war eine geniale Frau, ein Vorbild für uns alle. Sie schuf zwei Unternehmen, war eine der ersten Frauen weltweit in einem Vorstand – und das zu Beginn der 20. Jahrhunderts! Ihre Lebensart, ihr Wille, ihre Stärke, aber auch ihre Warmherzigkeit waren außergewöhnlich“, sagt Nicoletta Spagnoli, Jahrgang 1955 und seit 1986 CEO und Chefdesignerin des Modeunternehmens Luisa Spagnoli, das ihre Vorfahrin in Perugia, der Hauptstadt Umbriens, 1928 gegründet hat.
Parallelen zur eigenen Vita zieht sie nicht. „Die Zeiten sind einfach andere.“ Weibliche Firmenchefs mögen es heutzutage leichter haben, meint sie, doch leichthin hat sie sich den Arbeitsverdienstorden „Cavalière del Lavoro“, den ihr der italienische Staatspräsident verliehen hat, sicher auch nicht verdient.
Perugia ist laut den Reiseführern immer einen Ausflug wert. Denn er führt in eine fast 3000-jährige Geschichte und Kultur. Was Bücher und Online-Ratgeber selten verraten: wer die in aller Welt bekannte Nougatpraline „Baci Perugina“ (die mit der Haselnuss on top und einem eingewickelten Liebesgedicht) erfunden hat! Es werden über die Jahrhunderte bekannte Persönlichkeiten Perugias aufgeführt, für das 20. Jahrhundert Opernsängerinnen, Fußballspieler, Tennisspielerinnen, Musiker, Schriftsteller und viele andere. Ein Name jedoch fehlt: Luisa Spagnoli. Dabei ist sie nicht nur die Erfinderin des „Küsschens“, sondern auch die Gründerin der Modemarke, die seit über neun Jahrzehnten in Perugia ansässig ist, ihren Namen trägt, internationales Renommee genießt und heute von ihrer Urenkelin in vierter Generation geführt wird. Nicoletta Spagnoli ist gleichzeitig persönliche Botschafterin der Mode, die sie für die Marke seit Jahrzehnten entwirft: feminin, selbstbewusst, alterslos elegant.
Aber der Reihe nach. Luisa Spagnoli wird 1877 in Perugia als Tochter des Fischhändlers Pasquale Sargentini geboren. Sie heiratet Annibale Spagnoli, übernimmt mit ihm eine Confiserie im historischen Zentrum; sie beginnen Schokoladen und gebrannte Mandeln herzustellen. Der Erste Weltkrieg ruft Annibale an die Front, Luisa muss sich allein um den Laden, zwei Söhne und eine Tochter kümmern. Sie wird eine mutige und erfolgreiche Geschäftsfrau, trennt sich von Annibale, was damals in Italien vermutlich eine Unerhörtheit war. Auf alten Fotos sieht sie aus wie eine der Suffragetten, die in den 1920er Jahren in den USA und Großbritannien für das Frauenwahlrecht kämpfen. Als Unternehmerin kümmert sie sich nicht nur um das Wachstum des Betriebs, sondern auch um das Wohlergehen ihrer Beschäftigten – fast ausschließlich Frauen. Auf einem alten Foto sitzt sie am Steuer eines Fiat-505-Roadsters. Neben ihr Giovanni Buitoni, ihr vierzehn Jahre jüngerer Geliebter. Sein Name steht bis heute für italienische Teigwaren.
"Meine DNA hat gesiegt: Ich atme die Mode seit meiner Kindheit!"
Nicoletta Spagnoli
Auf einer Reise mit Giovanni Buitoni entdeckt Luisa Spagnoli in Frankreich niedliche Angorakaninchen. Sie kauft ein Paar, beginnt in ihrem Garten in Santa Lucia, einem Stadtteil von Perugia, eine Zucht – und kommt auf die Idee, das weiche Fell der Tiere als Garn für modische Strickwaren zu nutzen. 1928 lässt sie die Marke „Angora Spagnoli“ eintragen und beschäftigt, wie ein Schwarzweißfoto aus der Zeit zeigt, an die hundert Spinnerinnen, die den weißen Kaninchen mit einem speziellen Kamm die Haare ziehen, die dann von Hand versponnen werden. Spagnolis feine Strickwaren treffen den Modegeschmack, das Unternehmen expandiert. Doch die Gründerin erlebt ihren Erfolg nicht lange. Sie stirbt 1935 in Paris, wohin Buitoni sie zur Behandlung gebracht hatte, an einem Krebsleiden.
Die Marken „Buitoni“ und „Baci Perugina“ hat sich längst der Schweizer Nahrungsmittelkonzern Nestlé einverleibt. Das Modeunternehmen Luisa Spagnoli ist bis heute hundertprozentig in Familienbesitz. Nach Luisas Ableben übernimmt der älteste Sohn Mario die Firma und macht sie in den 1940er Jahren zu einem der erfolgreichsten Modelabels Italiens. Ganz im Sinne seiner sozialen Mutter errichtet er ein Quartier für die Angestellten, ein kleines Dorf mit Kindergarten, Arzt, Kirche, Einkaufsläden sowie Sport- und Erholungsstätten. Die „Città dell’Angora“ ist heute nicht mehr das, was sie bis in die 1960er Jahre war. „Unsere Sozialleistungen für die Mitarbeiter*innen sind aber bis heute über den gesetzlich vorgeschriebenen“, erklärt Nicoletta Spagnoli. „Wir gewähren zum Beispiel Mutterschutz über 18 Monate, sechs Monate länger als üblich.“ Kaninchen werden auch nicht mehr gezüchtet, Angorawolle ist nur noch ein Bruchteil der Textilien, die heutzutage verwendet werden. Aber das Gebäude-Ensemble gehört immer noch zum Unternehmen und kann besichtigt werden. Erst kürzlich hat Nicoletta Spagnoli die verblichenen, teilweise zerstörten Fresken des einheimischen Künstlers Gerardo Dottori an den Häuserfronten restaurieren lassen. Hommage an die Geschichte der Marke, wie das Museum Luisa Spagnoli.
Nicoletta Spagnoli arbeitet seit 1983 im Unternehmen, bevor sie nach dem überraschenden Tod ihres Vaters Lino, dem ältesten Sohn Marios, die Verantwortung übernimmt. Eigentlich hatte sie Pharmazie studiert und eine wissenschaftliche Karriere in Kalifornien in Aussicht. „Als mein Vater mich bat, in die Firma zu kommen, habe ich lange überlegt. Meine DNA hat gesiegt: Ich atme die Mode seit meiner Kindheit!“ Sie verbrachte nach der Schule Stunden bei den Modedesigner*innen im Atelier und lernte alle Techniken des Zeichnens. Ihr Vater ließ sie und ihre Schwester Carla einmal je eine Skizze für ein Kleid entwerfen und präsentierte die im Atelier gefertigten Teile seiner Töchter auf einer der Modeschauen. „Ich war erst zehn Jahre alt; das Gefühl dieses stolzen Moments werde ich nie vergessen.“
Weder ihr Bruder Mario noch Schwester Carla sind im Unternehmen aktiv. Dafür ist Nicola Barbarini, Jahrgang 1994, seit sechs Jahren an ihrer Seite. Als einziger Sohn der unverheirateten Mutter ist er ihr designierter Nachfolger, kümmert sich um die strategische Ausrichtung und digitale Präsenz der Marke sowie um neue Märkte. Accessoires wie das Parfum „Luisa“, Sonnenbrillen à la Greta Garbo und Taschen, die es mit Hermès aufnehmen sollen, gehören zur Kollektion. „Dank Nicolas Aktivitäten haben wir die Pandemie und den Lockdown mit Video-Shopping und E-Commerce überstanden“, sagt Nicoletta Spagnoli. „Wir blicken zuversichtlich in die Zukunft. Die Sehnsucht nach Schönheit bleibt. Die Zeichen sind positiv.“
Bleibt Luisa Spagnoli denn auch in Zukunft eine Marke nur für feminine Eleganz, oder ist eine Männerkollektion angedacht? Nicoletta Spagnoli gibt sich geheimnisvoll: „Sag niemals nie."
Über Nicoletta Spagnoli
Seit 1986 ist die Urenkelin der Gründerin, deren Namen das Familienunternehmen seit 1928 trägt, CEO und Creative Director der Modemarke Luisa Spagnoli S.p.A. Nicoletta Spagnoli wurde 1955 geboren, hat Pharmazie studiert und lebte in Kalifornien, bevor ihr Vater sie in das Unternehmen mit Sitz in Perugia holte. Mit 155 Boutiquen in Italien sowie 50 Flagshipstores in Deutschland, Russland, Polen, Großbritannien und den USA ist die Marke international präsent.
Dieses Porträt erschien ursprünglich in WERTE #24, unserem Kundenmagazin.