Noch vor fünf Jahren hatte buchstäblich jeder den heißen Tipp parat, dass man mit dem Kauf eines Oldtimers Geld verdienen und gleichzeitig Spaß haben könnte. Jetzt hat sich der Markt ein wenig beruhigt. Aber lohnt sich ein Traumauto heute noch als Investition – oder nur, um es selbst zu fahren? Werte hat sich in der Classic-Car-Szene umgesehen
„Autos sprechen für sich selbst“, fasst Dietrich Hatlapa, Gründer der in London ansässigen Historic Automobile Group International (HAGI), den aktuellen Zustand des Sammlermarkts zusammen. Vorbei sind die berauschenden Tage von 2012/13, als man fast jedes klassische Auto kaufen und schnell mit Gewinn wieder veräußern konnte. Damals setzten Automobilauktionshäuser Hunderte Millionen Euro um. Auf dem heutigen Markt erzielen nur noch die besten Autos (die besonders original sind, eine gute Dokumentation und eine geringe Laufleistung haben und vor allem: selten sind) außergewöhnliche Preise, alle anderen haben an Wert eingebüßt. „Wer einen Schatz besitzt, der weiß das, und die echten Sammler wissen es auch“, kommentiert der in Genf ansässige einflussreiche Händler Simon Kidston. „Früher oder später kommen Verkäufer und Käufer dann zusammen. Für die anderen 99 Prozent hingegen ist die Straße eher holprig.“
Ein Blick in die HAGI-Datenbank, die Tausende Transaktionen von 1980 bis heute verzeichnet, private wie auch solche bei Auktionen, zeigt das ganz deutlich: 2013 verzeichnete ihr Top-Index, der den gesamten Markt erfasst, ein Wachstum von 46,8 Prozent. Ende 2017 betrug das Wachstum nur noch magere 1,7 Prozent. Was steckt hinter diesem dramatischen Einbruch? „Das Volumen ist drastisch zurückgegangen, und die meisten Investoren, die wussten, was sie tun – und entsprechende Alternativen hatten –, haben den Markt verlassen“, sagt Hatlapa. „Als nach der Finanzkrise die Zinsen niedrig waren, schafften sich diese Leute große Sammlungen an. Jetzt ist dieser Trend vorbei, sie sind zufrieden mit dem, was sie haben, und investieren ihr Geld anderswo – beispielsweise auf den Finanzmärkten, wo die Liquidität vielleicht besser ist.“
Gerade jüngere Sammler sollten mit neueren Autos anfangen – mit denen hat man weniger Ärger
Der Londoner Händler Max Girardo von Girardo & Co nennt einen viel einfacheren Grund: Angebot und Nachfrage. „Nichts ist ewig gleich viel wert, weder Autos noch Immobilien noch Gold“, sagt er. „Nehmen Sie den Mercedes 300 SL Flügeltürer. Bei einem Schätzpreis von 500.000 Euro konnten sich vielleicht 1.000 Menschen einen leisten. Als der Preis auf 700.000 Euro stieg, fiel diese Zahl auf rund 600. Dann kostete er eine Million, und das konnten vielleicht 300 bezahlen. Der Markt findet immer sein Gleichgewicht.“
Jetzt, wo die meisten Spekulanten fort sind, ähnelt der Markt dem vor der Finanzkrise 2008, so Hatlapa. Es war ein Markt für Spezialisten und anspruchsvolle Käufer, die sich Zeit nahmen, zu überlegen, was sie kaufen und welche Autos sie besitzen wollten. Jetzt gibt es vielleicht noch halb so viele Transaktionen wie vor ein paar Jahren, schätzt Hatlapa, und der Preiskampf wird härter. Aber Girardo findet das nicht weiter schlimm: „Das Interesse ist immer noch da, und die Leute kaufen immer noch Autos. Sie sind nur etwas vorsichtiger als damals. Sicher, ein Aston Martin DB4 ist nicht mehr so wertvoll wie noch vor zwei Jahren, und derzeit stehen sieben oder acht Ferrari 365 GTB/4 zum Verkauf. Aber der Markt ist gesund, und die ganz besonderen Autos verkaufen sich immer noch sehr gut.“
Im Moment geben mehrere Marken den Ton an. So ist der HAGI-Index für klassische Ferrari von Januar 2017 bis Januar 2018 lediglich um 1 Prozent gestiegen, der für klassische Porsche sogar um 3,7 Prozent gesunken. Der Index von klassischen Mercedes erzielte hingegen als einziger ein deutliches Plus von 9,6 Prozent. Auf den ersten Blick scheint es seltsam, dass zwei Sportwagenmarken, die relativ geringe Stückzahlen produzierten, wie es der Markt derzeit ja eigentlich verlangt, von einem Branchenriesen abgehängt wurden, der viel mehr Fahrzeuge gebaut hat.
„Mercedes-Benz ist eine viel breiter aufgestellte Marke“, erklärt Hatlapa. „Sie haben nicht nur Sportwagen produziert, sondern alles, und das meiste davon in großer Zahl.“ Auch er verweist auf den Mercedes 300 SL: „1.400 Flügeltürer und 1.858 Roadster wurden gebaut. Das sind zehnmal so viele wie die ähnlich anspruchsvollen Klassiker mit Rennwagen-Genen aus jener Zeit.“
Die Preise für klassische Mercedes sind vergleichsweise niedrig, die Autos sind technisch zuverlässig, und das Mercedes-Benz Classic Center repariert Vintage-Modelle und bietet Ersatzteile für sie an. Das macht diese Autos attraktiv für jene, die nicht allzu viel Arbeit hineinstecken möchten. In den letzten fünf Jahren hat Mercedes jedoch nicht mehr ganz so gut abgeschnitten wie die Sportwagenhersteller (und sogar schlechter als der Marktdurchschnitt). „Der Markt ist viel weniger volatil“, erklärt Hatlapa. „Wenn man sich die Gesamtheit der Durchschnittswerte ab 1980 anschaut, hat Ferrari seitdem um 15 Prozent zugelegt, Porsche um 10,5 Prozent, der Top-Index um 13,5 Prozent und Mercedes um 9 Prozent. Deren Kurve verläuft deshalb flacher, weil Mercedes so viele Autos gebaut hat, dass die Marke nicht so anfällig für Marktschwankungen ist.“
Ein weiterer bemerkenswerter, wenn auch gradueller Wandel, der die Nachfrage nach bestimmten Marken bestimmt, ist der Generationswechsel. „Ein neuer Käufertypus drängt auf den Markt“, kommentiert Oliver Camelin, Spezialist beim Classic-CarsAuktionshaus RM Sothebyʼs. „Vor fünf Jahren waren unsere jüngsten Käufer Ende dreißig, doch seit die Internet-Generation boomt, gibt es mehr jüngere wohlhabende Menschen.“
Als diese jungen Enthusiasten reich genug wurden, um sich die Autos zu leisten, von denen sie als Teenager Poster an der Wand des Kinderzimmers hängen hatten, stiegen sogenannte Youngtimer aus den Achtzigern, Neunzigern und sogar den Zweitausendern auf einmal im Wert. Laut dem K500-Index, der die Verkäufe der großen Automobilauktionshäuser zusammenfasst, hat sich das Durchschnittsbaujahr der angebotenen Autos mittlerweile von 1957 auf 1966 verschoben. 2017 waren in der „Markt“-Rubrik im Magazin Classic Driver (wo hochkarätige Händler und Auktionshäuser jährlich Zehntausende Sammlerstücke anbieten) Porsche 911 G-Modell, BMW E30 und Lamborghini Countach unter den zehn beliebtesten Modellen – alle stammen aus den Achtzigern.
Gerade jüngere Sammler sollten mit neueren Autos anfangen,
rät Max Girardo, „mit denen hat man einfach weniger Ärger.“ Simon Kidston stimmt zu: „Jüngere Sammler bevorzugen Autos wie neuere Porsche, ein wachsender Sektor, während das Interesse an Oldtimern aus der Great-Gatsby-Ära, den zwanziger und dreißiger Jahren, stark nachgelassen hat.“
Doch Hatlapa ist vorsichtig. Auch wenn der Markt für Vorkriegsautos rückläufig ist, glaubt, er, dass Autos wie die Grand-Prix-Bugatti und die Alfa Romeo 8C wegen ihrer außergewöhnlichen Herkunft immer attraktiv sein werden. Ein hervorragend gepflegter Bugatti Typ 57C Coupé Atalante von 1938 wurde im Februar 2018 zum Rekordpreis von 2,8 Mio. Euro verkauft. Wirklich gute Autos sind immer gefragt.
Einerseits gibt es zahlreiche Youngtimer, so Kidston, die weniger als 100.000 Euro kosten und die auf der Straße einfach Spaß machen. Andererseits brachte ein limitiertes Exemplar eines Lancia Delta Integrale Evoluzione II bei RM Sothebyʼs in Paris dieses Jahr satte 161.000 Euro ein. „Man hat uns gebeten, unseren Value Guide um neuere Autos wie den Aston Martin DB7 GTA, den Porsche 996 Turbo und den Alfa Romeo 146 GTA zu erweitern“, kommentiert John Mayhead vom Versicherer Hagerty International. „Der Wert des 146 GTA hat sich in den letzten drei Jahren verdoppelt, auf rund 12.000 Pfund.“ Kidston geht davon aus, dass sich dieser Trend fortsetzt, doch die hohen Produktionszahlen werden verhindern, dass diese Autos allzu teuer werden. „Der simpelste Werttreiber für moderne Klassiker sind die Stückzahlen“, sagt Hatlapa. „Ich würde lieber einen Mercedes 190 Evo II kaufen, von dem nur 502 gebaut wurden, als einen der 5703 produzierten BMW Z8.“
Anderseits erzielt man mit modernen (und sogar aktuellen) nagelneuer Bugatti Chiron für 3,3 Mio. Euro verkauft, ein Ferrari FXX von 2006 wechselte für 2,61 Mio. Euro den Besitzer, und ein Maserati MC12 von 2004 erzielte 2,2 Mio. Euro. „In einer ausgefalleneren Farbe hätte der Chiron vielleicht noch mehr gebracht“, so Kidston. Ein Ferrari 166MM von 1953 und Johnny Hallydays Iso Grifo von 1965 fanden hingegen keinen neuen Besitzer. Die Verkaufszahlen bei Auktionen sind nur einer der Indikatoren für den Zustand des Marktes – Auktionshäuser können schließlich nur verkaufen, was ihnen angeboten wird. Doch sie zeigen, wie selektiv der Markt geworden ist: Während der französischen Oldtimerwoche im Februar 2018 erbrachten die Pariser Auktionen insgesamt 70,9 Mio. Euro; drei Jahre zuvor hatte der Umsatz noch bei 86 Mio. Euro gelegen.
Ultraniedrige Laufleistung und außergewöhnliche Seltenheit: Das will der Markt heute,
kommentiert Oliver Camelin. „Je weniger die Autos gefahren wurden, desto begehrter sind sie.“ Und er muss es wissen. Im Jahr 2016 erzielte ein makelloser Porsche 993 GT2 bei RM Sothebyʼs in London 1,85 Mio. Pfund und löste damit einen regelrechten Hype um seltene moderne Porsche aus. Doch ein Jahr später kam dort ein weiterer GT2, in einer weniger gefragten Farbe und mit etwas zweifelhafter Vorgeschichte, nur noch auf 776.000 Pfund. Ein anderes gutes Beispiel für diese Entwicklung ist, wie der Nimbus des Namens Ferrari und die limitierte Auflage dafür sorgen, dass Sondermodelle wie der F355 Challenge, der 458 Speciale und der F12TdF im Gegensatz zu ihren Standard-Pendants derzeit an Wert gewinnen.
Aber könnten diese seltenen modernen Autos die schwindelerregenden Höhen eines Ferrari 250 GTO erreichen? (Dieser gilt weithin als der Heilige Gral unter den Klassikern; nur 39 Stück wurden gebaut, heute ist er über 50 Mio. US-Dollar wert.) „Es gibt nur ein Auto, dem das gelingen könnte, und das ist der McLaren F1“, sagt Max Girardo. Im Sommer 2017 wurde in der Bonhams Quail Lodge in Kalifornien ein McLaren F1 für 15,6 Mio. US-Dollar versteigert – mehr als das 16-fache des Neupreises und das Doppelte des Schätzwerts im K500-Index von 2014. Doch warum ist die F1 so teuer geworden?
„Der McLaren F1 ist ein kompromissloses Fahrzeug, es wurden nur wenige gebaut, er gewann in Le Mans, und er profitiert von einer umfassenden Betreuung durch das Werk“, erklärt Dietrich Hatlapa. Diese Kombination von Attributen hat kein anderes Auto der letzten 40 Jahre zu bieten. Da Simon Kidston in den vergangenen 18 Monaten so viele F1 verkauft hat wie noch nie (er selbst ist einer von 64 glücklichen Besitzern der Straßenversion), weiß er nur zu gut um die Attraktivität dieses Supersportwagens. Dabei hat er festgestellt, dass die F1-Käufer tendenziell jünger sind und eine langfristige Perspektive haben. „Die kaufen keinen Bugatti EB 110 oder Jaguar XJ220 – sie steigen gleich ganz oben ein und müssen sich nicht erst hocharbeiten. Diese Generation hat ihre Hausaufgaben gemacht und ist mit Sachverstand und viel Engagement dabei.“
Hinzu kommt, dass wir heute ein recht klares Bild von der Zukunft der Automobilbranche haben – mit Elektromotoren, digitaler Revolution und einer globalen Gesellschaft im Wandel. Mehrere namhafte Hersteller, darunter Jaguar Land Rover und Volvo, haben bereits bekundet, dass sie in drei Jahren keine Autos mit reinem Verbrennungsmotor mehr bauen werden. Die neuen Technologien zwingen uns dazu, uns von jenen zu verabschieden, die in zehn Jahren als obsolet gelten werden, ganz gleich, wie sehr wir sie lieben. Ein Beispiel: das Schaltgetriebe. Einige Hersteller wie Ferrari und Lamborghini bieten längst keine manuelle Schaltung mehr an.
Andererseits hat die Nachfrage von Enthusiasten, die einfach nur das Autofahren lieben, Marken wie Porsche dazu veranlasst, weiterhin Schaltgetriebe einzubauen, wenn auch nur in kleinen Serien wie dem Cayman GT4. Dieser Umstand hat zu einer erhöhten Nachfrage nach solchen Fahrzeugen geführt, den Letzten ihrer Generation, und sie erzielen außergewöhnliche Preise, wie der Ferrari 599 GTB, den RM Sothebyʼs in Paris angeboten hat. Eines von weltweit nur 30 Exemplaren mit manueller Schaltung brachte es auf 365.000 Euro – dreimal so viel wie die günstigsten Automatik-F1-Autos.
Wie wird sich die Elektro-Revolution auf den Oldtimer-Markt auswirken? Die meisten Experten sind sich einig, dass sie auf lange Sicht die Nostalgie noch steigern wird. „Ich gehe davon aus, dass Autos mit Verbrennungsmotor in 200 Jahren genauso eingesetzt werden wie heute die Pferde: beim Rennsport und in der Freizeit“, sagt Max Girardo. „Im Alltag lassen sich die Menschen dann von einem computerisierten Kasten von A nach B kutschieren, doch am Wochenende wollen sie ein multisensorisches Erlebnis.“
Was die nähere Zukunft betrifft, so glauben die Experten, dass der Markt unvorhersehbar bleibt. Entsprechend war das Resultat, als Classic Driver zehn Branchen-Schwergewichte fragte, auf welche Autos man 2018 ein Auge haben solle. „Die Must-Haves bleiben an der Spitze, für alle, die unter ‚ferner liefen‘ rangieren, wird es noch schwieriger“, so Simon Kidston. Allerdings gibt es noch einen anderen Faktor im Markt, der sich nicht messen lässt und den wir gerade in so unruhigen Zeiten wie heute als selbstverständlich voraussetzen: Passion. „Viele Leute kaufen einfach deshalb klassische Autos, weil sie sie glücklich machen“, kommentiert John Mayhead. „Das ist ein Nebenprodukt der chaotischen Zustände in der Welt. In der aktuellen Phase des nachhaltigen Wachstums ist Leidenschaft ein starker Wachstumsmotor für den Markt .“
Doch auch Max Girardo weiß: Mit Zahlen und Trends kann man nie alles erklären. „Wenn mir heute jemand sagen würde, der Wert meines Lancia 037 würde nächstes Jahr um 20 Prozent sinken, würde ich ihn trotzdem um keinen Preis weggeben – und das von jemandem, der davon lebt, Autos zu verkaufen!“ Dass die Spekulanten ausbleiben, bedeutet, dass mehr echte Fans unter den Käufern sind, und die weltweit steigende Zahl an Oldtimer-Events verstärkt diesen Eindruck. „Mich freut, dass wir Enthusiasten auf den Plan rufen, die für das, was sie kaufen wollen, Leidenschaft aufbringen“, so Oliver Camelin. „Sie kaufen sich ein Auto nicht als reine Geldanlage, wie es während der Marktblase 2011 und 2012 so häufig der Fall war.“ Es geht weniger darum, welche Autos für sich sprechen, sondern um die vielen Geschichten von früher, die diese Autos erzählen würden, könnten sie reden.
Alex Easthope ist stellvertretender Chefredakteur von Classic Driver, einem Online-Magazin für Oldtimer, und schreibt über die Automobil- und Luxus-Branche