Ian Blatchford, Direktor der britischen Science Museum Group, hat eine Vision. Er will nichts Geringeres, als das Museum neu zu erfinden, Ausstellungen zu Blockbustern zu machen und ihr kulturelles Kapital zu einem Exportschlager. Roger Highfield traf sich mit ihm in Kalifornien.

 

Es ist ein Samstagnachmittag im Juli 2017, Ian Blatchford sitzt auf einem sonnenüberfluteten Balkon und blickt auf die Marina von San Diego. Er plaudert mit Bill Prady, Co-Creator der Sitcom „The Big Bang Theory“, als der legendäre Filmregisseur John Landis ihn wegbittet, um eine ganze Reihe Kreativer auf der Comic-Con zu treffen, dem berühmtesten, alljährlichen Zusammentreffen von Superheldenfans.

 

Am nächsten Tag besucht der energiegeladene 51-Jährige Disneyland, um mit eigenen Augen zu sehen, wie der Vergnügungspark mit seinen großen Besuchermassen umgeht. Dann fährt er nach Glendale bei Los Angeles zu einem Planungstreffen mit Disney-Imagineuren, die an einer visionären Ausstellung im Londoner Science Museum arbeiten. Sie soll eine Symbiose aus Science und Fiction werden. Bevor er wieder nach London fliegt, findet der Tausendsassa Blatchford auch noch die Zeit, „The Future“ in Hollywood zu besuchen, einen Verbund von Sängern, Unternehmern und Technikfreaks.

 

„Englands Museumsbranche wird zu Recht als einzigartiger und mächtiger Teilnehmer einer internationalen Kulturdiplomatie gefeiert“, freut sich der Vorsitzende des National Museum Directors’ Council. „Und England erlebt derzeit eine Periode außergewöhnlicher politischer Aktivität, nicht zuletzt aufgrund des Brexit-Referendums und der Unterhauswahlen. Daher ist es sehr wichtig, die angelsächsischen Werte und Visionen in der Welt zu vermitteln.“

 

Eine neue Rolle der Diplomatie für Englands Museen

Zu der Gruppe, der Blatchford vorsteht, gehören neben dem Science Museum, einer 161 Jahre alten Institution in South Kensington, vier weitere Museen im Norden Englands. Jedes widmet sich einem anderen Aspekt aus den Bereichen Wissenschaft, Technik und Industrie. Mehr als fünf Millionen Besucher locken sie jedes Jahr gemeinsam an.

 

Die Gruppe verfügt außerdem über ein wachsendes Portfolio von Wanderausstellungen. Angefangen 2013 mit einer Ausstellung über den Large-Hadron-Collider-Teilchenbeschleuniger, haben sie bis heute weltweit mehr als eine Million Besucher begeistert.

 

Internationalismus steckt der Science Museum Group im Blut, sagt Blatchford, „denn grenzüberschreitende Zusammenarbeit bildet den Kern von Geschichte und Zukunft der wissenschaftlichen Innovation, Technologie und Ingenieurskunst.“ In London beispielsweise beherbergte das Science Museum kürzlich eine Ausstellung mit dem Titel „Leonardo da Vinci, die Mechaniken der Genialität“, kuratiert von der Universcience in Paris und dem Museo Nazionale della Scienza e della Tecnologia Leonardo da Vinci (MUST) in Mailand. 2016 spielte das der Gruppe zugehörige Museum of Science and Industry in Manchester eine entscheidende Rolle im EuroScience Open Forum, der größten interdisziplinären Konferenz Europas.

 

Ingenieure und Lokomotivliebhaber aus aller Welt versammelten sich im National Railway Museum in York, um den „Flying Scotsman“ zu sehen. Die berühmteste Dampflokomotive der Welt wird seit Februar 2016 wieder im Zugbetrieb eingesetzt, nach einer zehnjährigen, fast fünf Millionen Euro teuren Generalinstandsetzung.
 

Ein Hoch auf die wissenschaftliche Verbindung zwischen England und Russland

Weitere Inspiration kommt aus der bedeutendsten neueren Anschaffung der Gruppe im Namen der Nation: dem Sojus-Raumschiff, das Tim Peake als erster britischer Astronaut der European Space Agency auf seiner Principia-Mission nutzte. Ende 2017 schickte Blatchford die zerbeulte russische Weltraumkapsel auf eine neue Mission, eine Tour durch seine Museen, verbunden mit einer Virtual-Reality-Landung, um die britischen Besucher in Staunen zu versetzen.

 

Das Science Museum hat seine kulturellen Bande mit der russischen Forschungsgemeinschaft weiter verstärkt, zumal 2017 das britisch-russische Jahr der Wissenschaft stattfand. „Wir haben einen Partnerschaftsvertrag mit dem größten russischen Wissenschaftsmuseum unterzeichnet, dem Staatlichen K.-E.-Ziolkowski-Museum der Geschichte der Raumfahrt in Kaluga. Und die bahnbrechende Ausstellung ,Kosmonauten: Geburt des Weltraumzeitalters‘ des Museums endete in Moskau nach einer langen Laufzeit und frenetischen Kritiken“, sagt Blatchford, der für seinen Beitrag vom russischen Präsidenten Waldimir Putin die Puschkin-Medaille erhielt, die höchste kulturelle Auszeichnung des Landes.

 

Und obendrauf machte sich Walentina Tereschkowa, die erste Frau im Weltraum, 2017 extra auf den Weg nach South Kensington, um ihren 80. Geburtstag zu feiern, bei einer Ausstellung zu ihren Ehren und einem Galakonzert im Museum. Tereschkowa begrüßte Blatchford wie einen alten Freund, überreichte ihm ein Präsent und schenkte ihm eine kräftige Umarmung. „Sie hätte mir beinahe die Rippen gebrochen“, erzählt er. Während ihrer ganzen Geburtstagsfeier im Museum erzählte Tereschkowa immer wieder den Witz, wie sie Blatchford in den Orbit begleiten würde und sie Duette singen würden, während sie gemeinsam in Richtung Mars flögen.

 

Eine globale Strategie, um die Wissenschaftler von morgen zu ermutigen

Doch das ist noch lange nicht das Ende von Blatchfords weltweiten Kontakten und seines Einflusses. Im Museum von morgen in Rio de Janeiro, einem spektakulären neuen Wissenschaftszentrum im Hafen der Stadt, konnte er während der Sommerolympiade 2016 in Gegenwart der britischen Staatssekretärin für Kultur, Medien und Sport Karen Bradley ein Partnerschaftsabkommen sichern

 

Außerdem ist er immer wieder in Indien. Ergebnis: Die britische Premierministerin und der indische Premierminister verkündeten gemeinsam die Ausstellung „Illuminating India“ im Science Museum, die im Oktober 2017 eröffnete und bis März 2018 lief.

 

„Während wir uns weiter nach Osten wagten, gelang ein deutlicher Fortschritt der Beziehungen mit China“, fügt Blatchford hinzu, „mit Präsentationen für die Wissenschafts- und Technikmuseen des Landes auf einem großen Symposium in Shanghai und Partnerschaftstreffen in Peking, Hongkong und Wuhan.“

 

Blatchford sagt, dass die Arbeit der Science Museum Group zu Recht weltweit gefeiert würde, angesichts Englands Schlüsselrolle beim Aufstieg der Wissenschaft, von der industriellen Revolution über kreative Persönlichkeiten wie Isaac Newton, Ada Lovelace und Alan Turing bis zur Entdeckung des atomdünnen Wundermaterials Graphen (Thema einer Ausstellung im Museum of Science and Industry in Manchester).

 

Die Gruppe spielt außerdem eine einzigartige Rolle bei der Erschließung einer neuen Generation von Wissenschaftlern. So lockte sie über 600.000 Kinder in Ausbildungsgruppen. Blatchford ist überzeugt, dass Galerien und Ausstellungen, die sowohl klug als auch zugänglich sind, Museen helfen können, Neugier und Begeisterung über Wissenschaft, Technik, Ingenieurskunst und Mathematik zu entfachen. „Wenn wir in der neuen Wirtschaft aufblühen wollen, brauchen wir mehr junge Leute, die sich für diesen Karriereweg entscheiden.“

 

Roger Highfield ist ehemaliger Redakteur des Magazins „New Scientist“ und Leiter der Abteilung für Außenbeziehungen in der Science Museum Group.

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