Die Rockefeller-Philanthropin, die daran glaubt, dass Zusammenarbeit sozialen Wandel schafft.
Peggy Dulany hat ein Leben lang darüber nachgedacht, wie man die Welt zu einem besseren Ort machen kann. Im Alter von 17 Jahren verbrachte sie den ersten von drei Sommern in Brasilien. Hier arbeitete sie mit verarmten Kindern in den Favelas, den überfüllten Slums, die sich um Rio de Janeiro ausbreiten. Zwei Sommer lang fuhr sie täglich drei Stunden mit dem Bus zu ihrer Arbeitsstelle. In ihrem dritten Jahr, als sie 19 Jahre alt war, zog sie bei einer Familie in der Favela ein. „Ich habe den ganzen Sommer dort gewohnt und teilte mit der gesamten Familie ein ziemlich einfaches Badezimmer“, sagt sie. „Das war eine intensive Erfahrung, denn wenn man tatsächlich dort wohnt, spürt man die Realität hautnah.“
Dulany wurde in Amerikas anerkannteste Dynastie hineingeboren. 1870 gründete ihr Urgroßvater John D. Rockefeller die Standard Oil Company, die 90 Prozent der Ölraffinerien und Pipelines des Landes kontrollieren sollte. Rockefeller wurde Amerikas erster Milliardär, und das Vermögen, das er angehäuft hatte, war legendär; am Ende seines Lebens belief sich sein Reichtum geschätzt auf rund 340 Milliarden US-Dollar (300 Milliarden Euro) in heutigen Dollar und auf ungefähr 1,5 Prozent des gesamten Bruttoinlandsprodukts der USA.
Aber sein Vermächtnis war nicht nur die Anhäufung enormen Reichtums: Er war auch ein wegweisender Philanthrop, der wichtige und effektive Stiftungen in unterschiedlichsten Bereichen schuf, darunter Bildung, Kunst und öffentliche Gesundheit. Die Rockefeller Sanitary Commission, die später zur Rockefeller Stiftung wurde, war zum Beispiel für die drastische Reduzierung der Hakenwurm-krankheit verantwortlich.
Wie Peggy Dulany das ultimative philanthropische Erbe annahm
Seine Nachkommen führten dieses Erbe weiter, und Dulany wurde seit frühester Kindheit von dem Gewicht der Familiengeschichte väterlicherseits beeinflusst. „Der Wunsch, etwas für andere zu tun, begann am Frühstückstisch im Alter von drei, vier oder fünf Jahren“, sagt sie. Auch ihre Mutter Margaret „hatte ein Gefühl von Fairness und Gerechtigkeit, das wir alle übernommen haben.“ Doch in den Favelas von Rio wurde Dulany die erste Ahnung einer Idee vermittelt, die dann zur zentralen Triebkraft ihres Lebens werden sollte, und zwar, dass eine wirklich sinnvolle, dauerhafte und positive Veränderung nicht in Isolation erreicht werden konnte. „Es war mir selbst als Siebzehnjährige bewusst, dass Impfungen für Kinder, die in der Kanalisation spielten, nicht die Wurzel des Übels ausmerzen konnten.“
„Mir wurde klar, dass es keine Dienstleistungen, keine Informationen und keine Bildung gab. Das Gesamtsystem bot keinen Weg für Mobilität“, sagt sie über die Zustände, die sie in Rio sah. „Es war wie eine Falle.“ Folgende Frage beschäftigte sie: Wie könnte man eine Art soziale Hauptstadt aufbauen, mit dem Willen zum Handeln und mit Strukturen, die ein Handeln ermöglichen und die dazu beitragen, Armut und Ungerechtigkeit zu reduzieren und die Humanität zu verbessern? Die Antwort auf diese Frage „wurde sozusagen zu meinem Lebensthema,“ sagt sie.
1972 unterrichtete Dulany an einer Schule für „Schulabbrecher“ – Kinder, die das Bildungssystem aufgegeben hatte. Sie liebte diese Arbeit. Doch während ihr Vater David sein Leben als Vorsitzender und CEO der Chase Manhattan Bank dem Business gewidmet hatte und einige seiner Brüder sich auf die Politik konzentrierten (einer von Dulanys Onkeln, Nelson Rockefeller, war Vizepräsident unter Gerald Ford; ein anderer, Winthrop Rockefeller, war Gouverneur von Arkansas), hatte ihr Onkel, John D. Rockefeller III, sein Leben der Philanthropie gewidmet und wurde für Peggy ein Mentor. Er ermutigte sie, in größeren Zusammenhängen zu denken.
1981 bot er ihr einen Sitz im Verwaltungsrat des Population Council, einer Stiftung, die medizinische und reproduktive Gesundheitsinitiativen in Entwicklungsländern sowie die Erforschung von HIV, AIDS und anderen Krankheiten finanziert. Ihr Vorstandssitz führte Dulany nach Bangladesch, Indien und Indonesien (alle Orte, an denen der Rat Projekte hatte); Reisen, die ihr „die Augen für andere Teile der Welt öffneten“. Nach der Geburt ihres Sohnes zog sie zurück nach New York, wo sie mit ihrem Vater in der New York City Partnership arbeitete, einer Organisation, die darauf abzielte, Verbindungen zwischen Gewerkschaften, Wirtschaft und Zivilgesellschaft zu schaffen, um wirtschaftliche Probleme in der Stadt zu lösen. „Sie waren nicht immer erfolgreich“, sagt sie, „aber die Erfahrung vermittelte mir die Idee, dass man eine Organisation schaffen könne, die zur Problemlösung verschiedene Gruppen zusammenbringen würde.“
Warum Zusammenarbeit entscheidend für den philanthropischen Erfolg ist
1986 fasste Dulany ihre Erfahrungen zusammen und gründete Synergos, eine globale gemeinnützige Organisation, die genau diesem Ziel gewidmet ist: Stakeholder aus Wirtschaft, Regierung, Zivilgesellschaft und marginalisierten Gemeinschaften zusammenzubringen, um bei philanthropischen Projekten auf gemeinschaftlicher Art und Weise zu helfen.
Dulany sagt, dass sich in den frühen 1980er Jahren die Philanthropie bereits änderte. Vor allem in der Unternehmenswelt wurde die Einstellung „Wir werden dieses Geld einfach verschenken“ er-setzt durch „Wir werden es nur für Sachen geben, die unserem sozialen Image oder Geschäft zugutekommen oder im Einklang mit unseren Geschäften stehen“. Sie bemüht sich, hinzuzufügen, dass einige der Ergebnisse wirklich gute Programme waren – es aber definitiv eine eigennützige Sache war. Sie zuckt mit den Schultern. „Und wissen Sie, wenn man die beiden zusammenbringen kann, dann ist das eine gute Sache.“
All diese Veränderungen bedeuteten, dass sich auch die Philanthropie weiterentwickeln musste. Mit Synergos wollte Dulany erreichen, dass die Menschen einen systemrelevanteren Ansatz verfolgen. „Also die Hauptursachen für das, was auch immer sie angehen wollten, herauszufinden.“ „Könnte es statt einer Obdachlosenunterkunft ein Programm zur Arbeitsplatzbeschaffung geben?“ Sie nennt ein weiteres Beispiel aus Brasilien. Im Rahmen eines bedingten Bargeldtransferprogramms namens Bolsa Familia erhielten arme Eltern, die ihre Kinder zum Betteln schickten, eine bestimmte feste Geldsumme, wenn die Kinder stattdessen zur Schule gingen. „Es war sehr effektiv“, sagt Dulany.
Ein Problem, das Dulany sah, war, dass einige Philanthropen, vor allem diejenigen, die in der Geschäftswelt erfolgreich waren, denken, dass sie die gleichen Prinzipien und das gleiche Tempo auf soziale Probleme wie zum Beispiel Bildung anwenden können. Doch dieser Top-down-Ansatz kann auch scheitern, selbst wenn er noch so gut gemeint ist. Ein Großteil von Synergos Mission besteht darin, Philanthropen beizubringen, wie sie ihre Ziele am besten erreichen. Im Zeitalter des Silicon Valley kann sich das manchmal schwierig gestalten. „Geduld fehlt im privaten Sektor, vor allem in der Technologiebranche“, sagt Dulany. „Sie erwarten, dass alles sofort passiert!“ Hier schnippt sie mit den Fingern. „Doch soziale Veränderungen passieren nicht einfach so.
Warum gemeinsame Philanthropie die zusätzliche Anstrengung wert ist
Veränderungen passieren nicht einfach so. Man muss sich wirklich engagieren, um mit anderen zusammenarbeiten zu wollen. Denn es geht langsam und es braucht seine Zeit“, erzählt sie weiter. „Doch es ist nachhaltig, und es kann skaliert werden.“ Eines ihrer ersten großen Partnerschaftsprojekte bei Synergos war ein Projekt zur Senkung der Unterernährungsraten in Maharashtra, Indien. Synergos kooperierte mit Unilever und mehreren großen indischen Konzernen sowie mit der UN-Hilfs-Organisation UNICEF. Zunächst herrschte wenig Vertrauen zwischen den Vertretern dieser Gruppen: „Die Unternehmen hielten die Zivilgesellschaft für ineffizient und radikal und die Regierung für bürokratisch und korrupt – und die anderen hielten die Geschäftemacher für gierig“, sagt Dulany.
Um eine Vertrauensbasis aufzubauen, organisierte Synergos eine Reihe von Reisen durch den Staat und teilte das Team dabei in kleine Gruppen auf. Diese Gruppen identifizierten dabei „über-brückende Anführer“ die ermutigt wurden, die kulturelle Kluft zwischen verschiedenen Sektoren zu überwinden. „Nach fünf Tagen und fünf Nächten mit anstrengenden Reisen auf beschwerlichen ländlichen Wegen, und angesichts der verheerenden Situation von unterernährten Kindern in bitterer Armut, waren sie mehr als bereit, einander zuzuhören“, erklärt sie.
Ihre gemeinsame Erfahrung bedeutete, dass sich die ungleichen Gruppen nun in der Lage fühlten, kreativ und innovativ zu sein und voneinander zu lernen. „Sie haben die Situation gesehen, sie haben das Vertrauen aufgebaut, sie mochten einander, und als sie dann das Brainstorming durchführten, entwickelten sie wirklich interessante Lösungen“, sagt Dulany. Zu diesen Lösungen gehörte auch, dass man Köche aus den Taj Hotels durch den Staat schickte, um das nationale Ernährungsprogramm zu evaluieren und ein Menü aus den lokalen Produkten zu kreieren, das kostengünstig, leicht zuzubereiten, nahrhaft und lecker war. Dulany sagt, dass die Rate der Kinder unter fünf Jahren, die durch Mangelernährung unterentwickelt waren, innerhalb von sechs Jahren von 39 auf 23 Prozent gesunken sei.
Die vier Schlüsselelemente einer effektiven Philanthropie im 21. Jahrhundert
Dazu gehörten drei von – wie Dulany sie nennt – vier Schlüsselelementen der effektiven Philanthropie im 21. Jahrhundert: systemrelevantes Denken, überbrückender Führungsstil und der Aufbau von Partnerschaften. Das vierte Schlüsselelement ist eher spirituell und – wie Dulany es beschreibt – mehr „innere Arbeit“, wie sie es selbst in einem Zelt im ländlichen Montana erfahren hatte.
Dulany erzählt, dass sie sich 1997 „ausgebrannt“ fühlte. Sie war nicht die Einzige. „Alle anderen, die versuchten, mir nachzueifern, arbeiteten sich auch fast zu Tode“, erzählt sie. „Daher war die Arbeitsatmosphäre nicht sonderlich gut.“ Sie nahm sich ein Sabbat-jahr, für das ursprünglich nur sechs Monate vorgesehen waren, und zog auf eine Ranch in Montana, in der Nähe des Yellow stone National Parks. Es war eine transzendente Erfahrung. „Ich fing an, ein Gefühl der Verbundenheit mit einem größeren Ganzen zu spüren, etwas, was ich vorher in meinem Leben noch nicht erlebt hatte, weil ich immer so beschäftigt war“, sagt sie. „Es erweckte in mir eher ein Gefühl des Friedens, aber auch Neugier – ‚Machen wir das wirklich richtig?‘ – weil es bei Synergos nie um die innere Arbeit ging.“ Sie lebte 13 Jahre lang in Montana und pendelte von dort zur Arbeit. Heute ist ihr Zufluchtsort auf der Ranch häufig die Kulisse für Brainstorming-Sitzungen zwischen Mitgliedern des Global Philanthropists Circle – Synergos Netzwerk von Philanthropen auf der ganzen Welt – und anderen Teilnehmern an ihren Projekten sowie Synergos-Mitarbeitern.
Doch Dulany glaubt trotzdem nicht, ihre Mission damit abgeschlossen zu haben. Brasilien, wo ihre Reise begann, hat gerade einen neuen autoritären Präsidenten gewählt. Das bedeutet, dass die alten Probleme wieder da sind. Sie seufzt tief, wenn das Thema erwähnt wird. „Also werden wir wieder versuchen, die Zerstörung des Amazonas zu stoppen.“ Das wirft die unbequeme Frage auf: Ist Philanthropie ein Projekt, das – wenn genügend Verbindungen hergestellt, genügend Vertrauen aufgebaut, genügend Führungs-kräfte inspiriert werden – ein gerader Weg in eine bessere und letztendlich perfekte Welt? Oder handelt es sich um eine Rückzugsaktion gegen das eindringende Chaos? Wer wird gewinnen? Partnerschaft oder Entropie?
„Ich bin von Natur aus ein Optimist, daher habe ich Hoffnung“, sagt Dulany. „Aber ich denke, ich bin auch realistisch genug zu wissen, dass die Kräfte, die gegen diese Art von Fortschritt walten – sozial, wirtschaftlich, politisch – sehr stark sind und bleiben werden. Besonders die Kräfte der Gier.“
„Ich weiß, womit wir es zu tun haben“, meint sie. „Aber ich denke, dass die Bewusstseinserweiterung, die durch den Aufbau von Gemeinschaften des Vertrauens kommt – Menschen zu helfen, sich sicher genug zu fühlen, um sich selbst zu erlauben, ein bisschen verletzlich zu sein und anderen zu vertrauen, und ein Gefühl der Zugehörigkeit zu fühlen – zu Neugier, Fantasie und Kreativität führt. Das wiederum öffnet uns für Mitgefühl, Dankbarkeit und Liebe und ein Gefühl der Verbundenheit auf einer höheren Ebene, sogar jenseits des Menschen.
Der Kern des Erfolgs, den wir weltweit suchen, liegt in diesem Bewusstseinswechsel“, sagt sie, „in der Beziehung zueinander als Menschen.“
Synergos hat in Zusammenarbeit mit seinen Netzwerkmitgliedern für Gemeinden auf der ganzen Welt einen Unterschied gemacht – und hier sind einige der Geschichten:
JORDANIEN: Mithilfe eines Synergos-Preises konnte Dr. Rana Dajani durch ihre gemeinnützige Organisation We Love Reading die Lesekompetenz der Kinder aufbauen. Dieses Projekt ist in mehr als 40 Ländern aktiv und verfügt über 330 Bibliotheken.
INDIEN: Das Programm Adolescents Gaining Ground wurde mithilfe von Synergos von der indischen gemeinnützigen Gruppe Innova Schools, ein alternatives Bildungssystem, das mehr als 37.000 Kindern aus einkommensschwachen Familien qualitativ hochwertige Schulen bietet. Synergos würdigte seine Arbeit mit dem David Rockefeller Bridging Leadership Award.
WELTWEIT: Kim Samuel, Mitglied des Synergos Global Philanthropists Circle, hat das Konzept des Aufbaus sozialer Verbundenheit vorangetrieben, um die Isolation zu bekämpfen, die häufig mit Armut, Behinderungen und anderen Herausforderungen einhergeht. Durch die Samuel Family Foundation und das Samuel Centre for Social Connectedness hilft es Gruppen weltweit, diesen Ansatz in ihre Arbeit zu integrieren.
Nicky Woolf ist der Herausgeber von New Statesman America. Als Schriftsteller mit Schwerpunkt Politik und Gesellschaft wird Arbeit in 'The Guardian' und zahlreichen anderen Publikationen veröffentlicht.
Dieser Artikel erschien erstmals in der Mai-Ausgabe 2019 von WERTE, dem Kundenmagazin von Deutschen Bank Wealth Management.