Der Nobelpreisträger und ehemalige US-Energieminister erklärt, warum nur eine schnelle, radikale Energieinnovation eine Klimakatastrophe verhindern kann - und was Philanthropen tun können, um zu helfen.

 

Wenn Sie helfen wollen, die Welt zu retten, läuft Ihnen die Zeit davon. Dies ist die Botschaft, die Steven Chu – Nobelpreisträger, Professor der Stanford University, produktiver Erfinder und ehemaliger Energieminister der USA, mit zunehmender Dringlichkeit an angehende Philanthropen und einflussreiche Investoren auf der ganzen Welt weitergibt. „Werden wir unser Ziel erreichen, einen globalen durchschnittlichen Temperaturanstieg um 2 °C zu stoppen? Unwahrscheinlich“, sagt er. „Praktisch alle CO2-Emissionsszenarien, die benötigt werden, um unter 2 °C zu bleiben, erfordern, dass die gesamten CO2-Treibhausgasemissionen der Welt bis 2080 negativ ausfallen. Die weltweite Emissionsrate steigt jedoch an und wir werden das CO2-Emissionsziel in nur 30 Jahren erreichen.“ Er weist darauf hin, dass beim letzten Mal, als die globalen Temperaturen im Durchschnitt um 1 °C wärmer waren, unsere Meere zwischen sechs und neun Meter angestiegen sind. „Dies basiert nicht auf Klimamodellen. Es basiert auf fossilen Meeresmuscheln, die an Land gefunden wurden, das sich früher unter Wasser befand. Es sind also geschichtliche Fakten.“

 

Um es klar auszudrücken, niemand sagt einen Anstieg des Meeresspiegels dieser Größenordnung in den nächsten Jahrzehnten voraus. Der Zwischenstaatliche Ausschuss für Klimaänderungen (IPCC) der Vereinten Nationen schätzt, dass bis 2100 der durchschnittliche Meeresspiegel im schlimmsten Fall um einen Meter ansteigen wird. Doch, so sagt Chu, würde der momentane ökologische Wandel wahrscheinlich Jahrhunderte dauern, statt wie früher Jahrtausende. „Eine Adaptierung über mehrere tausend Jahre ist Evolution; doch ganze Städte innerhalb weniger hundert Jahre zur Veränderung zu bewegen, wird sich anfühlen wie eine Evakuierung.“

 

Chu hat mehr Gründe als die meisten, pessimistisch zu sein. Als Energiesekretär von Präsident Barack Obama von 2009 bis 2013 stellte er sich der größten Energieherausforderung unserer Zeit: Wie man die USA – und damit die gesamte entwickelte Welt – von ihrer Öl- und Gasgewohnheit entwöhnt. Und im vergangenen November sah er von seinem Büro an der Stanford University den Rauch vom schlimmsten Wildfeuer in Kaliforniens Geschichte, dem sogenannten „Camp Fire“, über den Campus wüten, das mindestens 85 Menschen tötete und geschätzte 16,5 Milliarden US-Dollar (14,5 Milliarden Euro) Schaden verursachte. In den letzten fünf Jahren hatten die Staaten nur zwei Jahreszeiten: eine „Feuerzeit“ und eine Regenzeit“, sagt er.

 

Er hält es für unwahrscheinlich, dass wir unter einem globalen Temperaturanstieg von 2 °C bleiben und dass wir bis zum Ende dieses Jahrhunderts 3 bis 3,5 °C erreichen könnten – das „mittlere“ Szenario des Weltklimarats (IPCC). Er macht sich auch Gedanken über das Schmelzen der Gletscher. „Die Überraschung für viele Wissenschaftler in den letzten ein oder zwei Jahrzehnten war, dass das Festland-Eis der Antarktis schwindet, obwohl es zunehmen sollte“, erklärt er. „Wir verstehen jetzt auch, dass Veränderungen in den Polarregionen der Nordarktis die Veränderungen in der Antarktis beschleunigen, und dieser Rückkopplungskreis beschleunigt sich.“ Doch die Art und Weise, wie er solch alarmierende Nachrichten überbringt, ist immer die gleiche: mit einer Mischung aus stählerner Ruhe und pragmatischen Ratschlägen. „Das bedeutet nicht, dass man verloren hat ... Wenn man 30 Jahre lang raucht, sollte man da einfach weiterrauchen oder sagt der Arzt: ‚Nein, es ist zu spät, vergessen Sie es?‘ Man will doch trotzdem noch mit dem Rauchen aufhören.“

 

Warum es Gründe gibt, im Kampf gegen den Klimawandel hoffnungsvoll zu sein

 

„Es gibt einige Gründe, hoffnungsvoll zu bleiben“, sagt er. Die Kosten für Energie aus erneuerbaren Quellen sind in den letzten Jahren rapide gesunken und erreichen rund zwei Cent pro Kilowattstunde (kWh) an „den besten Standorten“ für Solar und Wind, „und es besteht eine sehr starke Erwartung, selbst unter den Öl- und Gasunternehmen, dass sie bis 2030 ohne Subventionen weniger als zwei Cent pro kWh betragen werden.“ Angesichts dieser Tatsache „wissen die traditionellen Energieunternehmen, dass sie in 50 Jahren keine fossilen Brennstoff e mehr einsetzen dürfen.“

 

Daher steigen Investitionen in erneuerbare Energien – nicht nur, um neue Erzeugungsarten zu finden, sondern auch, um kritische Speicherungs- und Übermittlungsprobleme zu lösen. „Erneuerbare Energien sind nicht immer an“, erklärt Chu. „Daher müssen ihre vollen Kosten Backup-Erzeugungskapazität, verbesserte Übermittlung und Verteilung sowie Energiespeicherung umfassen.“ Er begrüßt die Fortschritte Chinas, das kürzlich eine Höchstspannungsanlage in Betrieb genommen hat, die mit 1,1 Megavolt (MV) und 12 Gigawatt (GW) betrieben wird. Über die 3.293 km lange Strecke gehen weniger als fünf Prozent des Stroms in der Übertragung verloren. Chu betont, dass China bei dem Projekt mit dem schweizerisch-schwedischen Ingenieurriesen ABB kooperiert, dabei aber schnell das eigene Know-how aufbaut. Daher wird Chinas Energienetz bald in der Lage sein, erneuerbare Energie effizient im ganzen Land zu übertragen; von riesigen Windanlagen im Nordwesten und Nordosten und von zahlreichen Wasserkraftdämmen im Südwesten aus.

 

Die chinesische Regierung setzt auch ehrgeizige Ziele für die Einführung von Elektrofahrzeugen. Bis 2020 sollen Elektrofahr-zeuge 12 Prozent des Neuwagenverkaufs im Land ausmachen. „Nicht wegen einer bahnbrechenden Technologie, sondern auf-grund der Luftverschmutzung“, sagt Chu. Er weist darauf hin, dass im urbanen China viele Kinder an Asthma leiden und ihre Großeltern Gefahr laufen, früher zu sterben, sodass sie keine Epidemiologen brauchen, die ihnen sagen, dass es ein Problem gibt. Das können sie mit ihren eigenen Augen erkennen. Ihre Machthaber sind sehr engagiert und atmen dieselbe schlechte Luft ein.

 

Manche gehen davon aus, dass alle Fahrzeuge, die nur über Verbrennungsmotoren verfügen, bis 2040 verboten sein könnten. „Doch selbst dieses Maß an Engagement wird bei den aktuellen Trends nicht ausreichen, um Katastrophen bis 2100 abzuwenden“, sagt Chu. Vor allem, wenn es in den USA etwa 40 % Menschen gibt, die entweder dementieren, dass der Klimawechsel stattfindet, oder die den Klimawechsel zwar sehen, aber bestreiten, dass er in erster Linie durch Menschen verursacht wird.

 

Was kann man also tun? Aus Chus Sicht muss die Lösung mittelständischen Konsumenten ermöglichen, ihre Gewohnheiten zu ändern, ohne dabei große Abstriche in puncto Lebensstil zu machen. „Wenn die Regierung zu viel Druck ausübt, wird es eine Gegenreaktion geben“, sagt er. „Die Welt ist wahrscheinlich bereit, einen Unterschied von 10 % für saubere Energie in Kauf zu nehmen, wird aber sicherlich nicht deutlich mehr Abstriche machen.“ Wir benötigen radikale Fortschritte in der Energietechnologie, damit das passiert. Um beispielsweise mehr Menschen für den Wechsel zu Elektrofahrzeugen zu gewinnen, müssen diese Kosten mit denen von Fahrzeugen mit Verbrennungsmotor vergleichbar sein. „Wir bräuchten Batterien, die einem Fahrzeug mit einer Reichweite von etwa 500 km mit einer sechsminütigen Ladezeit eine Reichweite von rund 241 km verleihen könnten.“ „Wenn das geschieht“, sagt Chu, „glaube ich, dass die meisten Leute zu Elektrofahrzeugen wechseln würden, da die Betriebskosten viel geringer sind.“

 

Als Energieminister konnte Chu über ARPA-E (Advanced Research Projects Agency Energy), das 2007 gegründet wurde, um sicherzustellen, dass die USA bei der Entwicklung und dem Ein-satz fortgeschrittener Energietechnologien technologisch führend bleiben, einen erheblichen Teil der staatlichen Gelder in radikale Energieinnovationen stecken. Die Agentur unterstützt grundlegende Forschungsprojekte, die die Möglichkeit revolutionärer Fort-schritte bieten, aber für den Privatsektor in der Regel als zu riskant angesehen werden. Sie hat eine Reihe von Erfolgen erzielt und bis Februar 2018 auf Grundlage ihrer Forschung 71 Unternehmen und 245 Patente angemeldet. Chu ist jetzt jedoch davon überzeugt, dass der öffentliche Sektor keine Durchbrüche in der Größenordnung erzielen kann, die notwendig ist, um den Klimawandel rechtzeitig zu stoppen und Katastrophen abzuwenden. „Ein Dollar in einer hervorragend geführten privaten Organisation, die keine staatliche Aufsicht hat, ist in einer Regierungsorganisation mindestens fünf Dollar wert“, sagt er.

 

Wie Philanthropen eine entscheidende Rolle bei der Suche nach Technologien spielen können, die eine Klimakatastrophe verhindern

 

Er fährt fort: „Was die Welt dringend braucht, ist ein ‘Bell Labs of Energy’.“ Dies ist ein Verweis auf das 1925 in New York City gegründete Telekommunikationslabor, das am Ende einige der bedeutendsten Innovationen der Welt hervorbrachte, darunter den Transistor und den Laser. Chus eigene Forschungen in den Bell Labs in den 1990er Jahren brachten ihm (gemeinsam mit den Mitarbeitern Claude Cohen-Tannoudji und William Daniel Phillips) den Nobel-preis für Physik ein. Er schreibt es der einmaligen Kultur dieses Labors zu, die es ihm und anderen ermöglichte, in diesem Tempo voranzukommen.

 

„Die erfolgreiche Einrichtung einer solchen Institution würde dann davon abhängen, die richtigen Leute zu finden“, gibt er zu verstehen. „Ich bin dafür zu alt ...“ Er ist jedoch zuversichtlich, dass das richtige Führungsteam mit zwei bis fünf Personen gefunden wer-den könnte und dass dies andere dazu inspirieren könnte, an Bord zu kommen. Ein Standort neben einer großen Universität wäre vonnöten, denn man braucht auch die intellektuelle Vitalität, die dies mit sich bringt. Zugang zu den Ingenieur- und Wissenschaftsabtei-lungen und zu den Studenten. Idealerweise braucht man auch für mindestens fünf Jahre eine Finanzierungsverpflichtung, die zwischen 44 Millionen und 88 Millionen Euro pro Jahr liegt, bevor man eine Erfindung erwarten kann, die Einnahmen generiert.

 

Spenden von wohlhabenden Personen könnten der einzige Weg sein, um die Idee auf den Weg zu bringen. „Diese sind viel eher bereit, gewagte, innovative Investitionen zu machen“, sagt Chu. „Beim Baseball läuft man Gefahr, einen Strikeout einzuheimsen, wenn man um die Zäune schwingt“, wie er es ausdrückt. „Um das Problem mit dem Klimawandel zu lösen, brauchen wir eine Organisation, die unglaubliche, brillante Menschen unterstützt, die die Welt durch Homeruns retten wollen.“

 

 

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Ein vorbildlicher Innovator  

Steven Chu arbeitete neun Jahre lang im bahnbrechenden Bell Labs (heute Nokia Bell Labs). Er sagt, dass die folgenden vier Aspekte der Labor-Kultur entscheidend für den schnellen technologischen Fortschritt waren:

1. TALENT
„Sie stellten nur die besten Wissenschaftler ein und das Management bestand aus den Besten der Besten“, erinnert Chu sich. Gute Ideen wurden schnell finanziert, weil Manager über genügend technische Expertise und Respekt auf ihrem Gebiet verfügten, um Entscheidungen ohne die Begutachtung von Kollegen zu treffen.

 

2. ORGANISCHE ZUSAMMENARBEIT
Die Teams in den Bell Labs sind sehr klein. „Wenn man gut ist, kann man einen Techniker oder einen Postdoktoranten hinzuholen“, erklärt Chu. „Wenn man außergewöhnlich gut ist, kann man beide haben.“ Aber das war es auch schon. Wenn man etwas Bedeutendes tun möchte, muss man einen Mitarbeiter innerhalb der Organisation finden und überzeugen.

 

3. SCHLANKE VERWALTUNG
In Universitäten ist es nicht ungewöhnlich, Teams mit 25 Mitarbeitern zu finden. „Sobald Sie ein Team dieser Größe leiten, sind Sie im Prinzip ein Administrator und Sie verbringen die meiste Zeit damit, Geld aufzutreiben. In den ‚Bell Labs of Energy‘, sagt Chu, „arbeiten Sie idealerweise in einem Team mit nur vier oder fünf Leuten. Das sind alles praktizierende Wissenschaftler mit ihren eigenen Laboren.“

 

4. BESCHEIDENHEIT
„Ich hatte sechs oder sieben leitende Ermittler in meiner Abteilung, aber sie waren nicht da, um nach meiner Pfeife zu tanzen“, sagt Chu. „Triff t eine Abteilung falsche Managemententscheidungen oder wird sie zu rechthaberisch, dann gibt es Mechanismen, um dies zu korrigie-ren. So kann Ihnen zum Beispiel die Führungsrolle entzogen werden.“

 

 

 

Paul Tyrrell ist Global Content Director bei Deutsche Bank Wealth Management.

 

Dieser Artikel erschien erstmals in der Mai-Ausgabe 2019 von WERTE, dem Kundenmagazin der Deutschen Bank Wealth Management.

 

 

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