Friederike Otto zählt zu den wichtigsten Personen der Klimawissenschaft. Das Gespräch mit ihr ist ein eindringlicher Appell, viel mehr zum Schutz vor Extremwetter zu tun
WERTE: Eine Rekordhitze in Kanada, mehr als 30 Tornados zur gleichen Zeit in den USA, Waldbrände im Mittelmeerraum, eine verheerende Flutkatastrophe in Mitteleuropa – Millionen Menschen weltweit litten in den vergangenen Monaten unter Wetterextremen. Die Arbeit geht Ihnen nicht aus …
Friederike Otto: Das stimmt, leider, ja.
Wie nehmen Sie diese Meldungen auf – mit wissender Abgeklärtheit, mit Neugier oder mit Niedergeschlagenheit?
Es ist sicherlich eine Mischung aus allem und selbst für mich immer noch schockierend. Was ich aber am schockierendsten finde, ist, dass wir vielfach überhaupt nicht an das Wetter angepasst sind, das wir auch ohne den Klimawandel hätten. Für mich war das bemerkenswerteste Ereignis der letzten Zeit die Dürre und die nachgehende Hungersnot im südlichen Madagaskar, die in den Medien immer wieder mit dem Klimawandel in Verbindung gebracht wurde.
Auch von Seiten der Regierung und der Vereinten Nationen wurde sehr schnell der Klimawandel dafür verantwortlich gemacht.
Das stimmt aber nicht. Wir konnten mit unseren Berechnungen feststellen, dass der Klimawandel bei der Hungersnot keine Rolle spielte. Das Ausbleiben von Regenfällen auf Madagaskar hat aufgrund des vom Menschen verursachten Klimawandels nicht signifikant zugenommen.
Sondern?
Die Hungersnot gab es, weil die Bevölkerung extrem arm ist und es an Infrastruktur mangelt. Es gibt keinerlei Prävention, keine Resilienz für auch nur geringste Schwankungen in der natürlichen Variabilität des Klimasystems. Umso mehr müssten uns die wirklich klimawandelbedingten Extremwetterereignisse anspornen, uns an das Wetter anzupassen, wo wir es können. Trotzdem geht es fast in der gesamten Klimadiskussion darum, den zukünftigen Klimawandel zu begrenzen. Natürlich ist das wichtig. Aber wir dürfen darüber die Anpassung nicht vergessen. Das ist für mich der frustrierendste Aspekt an den ganzen Ereignissen.
Vor drei Jahren erschien Ihr Buch „Wütendes Wetter“, mit dem Sie Ihre Attributionsforschung erklärten. Damit können Sie feststellen, ob und wie stark ein Extremwetterereignis mit dem Klimawandel zusammenhängt. Sind Sie zufrieden damit, wie Ihre Erkenntnisse seitdem aufgenommen wurden?
Die öffentliche Diskussion um den Klimawandel ist sehr viel besser geworden. Jedoch ist man hier und da übers Ziel hinausgeschossen. Es wird nur noch über den Klimawandel geredet und nicht darüber, dass auch die aktuelle Vulnerabilität eine unglaublich wichtige Rolle spielt.
Die Adaption, die Anpassung an das Extremwetter, ist also im politischen Alltag nicht so verankert wie die Bemühungen um mehr Klimaschutz?
Absolut. In Glasgow musste man sich wieder von Politikern des globalen Nordens anhören, dass der Klimawandel ein Zukunftsproblem sei und es vor allem um Generationengerechtigkeit gehe – damit quasi der Enkel von Frans Timmermans, dem EU-Klimaschutzkommissar, keine Probleme bekommt. Aber was ist mit all den Schäden, die jetzt schon überall auf der Welt entstanden sind, weil wir uns nicht angepasst haben? Diese Frage wurde nicht ernsthaft angegangen.
Wohin wir uns zum Schutz des Klimas transformieren müssen, ist heute vielen klar. Was aber muss geschehen, um mehr Adaption zu erreichen?
Es wird sich vieles ändern müssen. Was sich ganz unmittelbar verändern muss, ist die Bildung und der Informationsfluss zwischen den Behörden. Hier muss verstanden werden, was Klimawandel auch jetzt schon lokal bedeutet. Es muss niemand an Hitzewellen sterben. Aber Hitzewellen sind in Europa und Nordamerika mit Abstand die tödlichsten Extremwetterereignisse. Und das, obwohl absolut bekannt ist, was man machen muss, um zu verhindern, dass Menschen in Hitzewellen ums Leben kommen. Aber das kann man natürlich nur verhindern, wenn alle, die eine Rolle in Planung und Prävention spielen, wissen, wie man sich bei Hitzewellen verhält und worauf man achten muss.
Nennen Sie bitte ein paar Beispiele.
Es klingt trivial, aber viel Wasser zu trinken, ist eine der wichtigsten Hitzepräventionen, weil man bei Hitzewellen die Körpertemperatur niedrig halten muss. Das ist vielen Menschen leider immer noch nicht bewusst. Und man sollte darauf achten, dass vorerkrankte Menschen, die keine kühlen Räume haben, weil sie vielleicht in schlecht isolierten Häusern leben, anderswo unterkommen. Auch Kommunen könnten relativ schnell mit der Pflanzung von Bäumen das innerstädtische Mikroklima verändern und für erträglichere Temperaturen sorgen.
Bleiben wir bei der klimagerechten Transformation von Städten. Wie weit sind wir?
Ich sehe da nicht wirklich einen Willen, unsere Städte so umzubauen, dass wir einerseits klimaneutral leben werden und andererseits jetzt schon mit den Auswirkungen des Klimawandels umgehen können. Mehr Grünflächen und besser isolierte Häuser helfen in beiden Fällen.
In vielen deutschen Großstädten wird zum Beispiel auf Verdichtung gesetzt, um zunächst mal das Problem der Wohnungsknappheit zu lösen.
Das scheint mir nicht sehr nachhaltig zu sein. Verdichtete und versiegelte Städte heizen sich in einem viel stärkeren Maße auf als die, die locker bebaut sind. Auch hier in Großbritannien werden immer noch Häuser gebaut, die mit fossilen Energien betriebene Heizungen haben und schlecht gedämmt sind, nur um schnell die Wohnungsbauproblematik zu lösen.
"Wer nicht klimafreundlich investiert, kann ein Desaster erleben"
Friederike Otto
Wenn Sie also die Bildung bemängeln, dann muss die Aufklärungsarbeit auch bei denen ansetzen, die solche Baumaßnahmen genehmigen.
Ja. Bildung hat nicht nur mit Schulen zu tun. Eine der wichtigsten Aufgaben, die umgesetzt werden müssen, ist, dass in allen Behörden und auf allen Ebenen echtes Know-how vorhanden ist. Wenn man eine Transformation wirklich umsetzen will, muss man wissen, wo es weh tun muss.
Wird wie beim Ausbau der erneuerbaren Energien auch bei der Klimaanpassung die Wirtschaft profitieren können?
Ganz sicher wird die Baubranche profitieren. Natürlich auch die Finanzbranche, was man ja jetzt schon sieht. Für diejenigen, die nicht klimafreundlich investieren, kann es ein Desaster werden. Auch die Agrarbranche wird sich umstellen müssen. Im Mittelmeerraum, wo Dürren zunehmen, wird es darum gehen, Ernten zu sichern, denn die Landwirtschaft, die man dort gewohnt war, wird man ohne zusätzliche Bewässerung nicht unbedingt aufrechterhalten können.
Sie schreiben am Weltklimabericht mit. Darin enthalten sind auch verschiedene Pfade, wie die CO2-Reduktionen erreicht werden können. Manche kalkulieren mit ein, dass wir in Zukunft auf Technologien zurückgreifen können, die es etwa erlauben, CO2 wieder aus der Atmosphäre zu ziehen. Wie statthaft ist das?
Das stimmt, es sind verschiedene Carbon- Capture-Verfahren mit eingerechnet, die Kohlendioxid wieder einfangen können. Diese Technologien gibt es schon jetzt, aber nicht in der Größenordnung, in der sie einen Unterschied ausmachen würden.
Werden wir diese Technologien brauchen?
Wenn der globale CO2-Ausstoß weiterhin so nach oben geht wie bisher, werden wir negative Emissionen brauchen, was heißt, CO2 wieder aus der Atmosphäre herausholen zu müssen, um die Erwärmung unter zwei Grad zu halten.
Sie sagen, dass Sie eine hoffnungslose Optimistin seien – auch in Sachen Klimarettung. Woran knüpfen Sie Ihre Hoffnungen?
Nicht an Technologie! Sondern daran, dass wir gesellschaftlich – gerade wenn man sich das vergangene Jahrhundert anschaut – unglaublich viel Fortschritt erreicht haben. Es ist noch nicht lange her, dass die wachsende Weltbevölkerung als eines der größten Probleme galt. Aber die Rate der Zunahme der Bevölkerung sinkt inzwischen. Auf absehbare Zeit ist das kein Problem mehr.
Wie wurde das geschafft?
Die Lebensqualität hat sich fast überall auf der Erde verbessert, auch und gerade in vielen ärmeren Ländern. Wohlstand, bessere Hygiene und bessere medizinische Versorgung führen zum Rückgang der Kindersterblichkeit und in der Folge auch zu weniger Geburten. Der andere Aspekt ist die wachsende Bildung von Frauen und eine wachsende Zahl arbeitender Frauen. Mehr Chancengleichheit und mehr Investitionen in Chancengleichheit werden einen nicht zu unterschätzenden Effekt auf die Bekämpfung des Klimawandels haben. Das Abbremsen des Bevölkerungswachstums halte ich für ein eindrückliches Beispiel dafür, dass sich Dinge in relativ kurzer Zeit zum Besseren verändern können.
Die US-Publizistin Katharine Wilkinson hat die These aufgestellt, dass die Erde nur mit mehr Gleichberechtigung zu retten sei – in Entwicklungsländern, aber auch im reichen Westen.
Das glaube ich auch. Aber nicht, weil Frauen die besseren Menschen wären oder die besseren Ideen hätten, sondern weil wir eine echte Änderung darin brauchen, wie wir Wirtschaft betreiben. Das wird unglaublich schwer zu erreichen sein, wenn man bei den Fragen, wie man Geld investiert, welche Projekte man fördert, wer in Führungspositionen sitzt, danach entscheidet, ob der andere genauso aussieht wie man selbst. An mehr Diversität kommen wir nicht vorbei.
Über Friedericke Otto
Die Physikerin und Klimaforscherin Friederike Otto wechselte 2021 von der University of Oxford ans Imperial College in London. Neben dem kürzlich verstorbenen Klimatologen Geert Jan van Oldenborgh ist sie Mitbegründerin der Attributionsforschung, die es erlaubt, den Anteil des Klimawandels am Extremwetter zu berechnen. So fand sie etwa heraus, dass sich in Europa je nach Lage die Wahrscheinlichkeit für Hitzewellen verdoppelt bis verzehnfacht hat. Für diese Erkenntnisse erhielt Otto weltweit viel Anerkennung. Die Magazine „Time“ und „Nature“ zählen sie zu den wichtigsten Personen der Klimawissenschaft weltweit.
Dieses Interview erschien erstmals in WERTE #25, dem Kundenmagazin von Deutsche Bank Wealth Management.