Plastikmüll verschmutzt die Ozeane und stellt eine große Gefahr für Mensch und Tier dar. Die Architektin Marcella Hansch will das Problem mit einem schwimmenden Riesenkamm lösen

 

Gute Geschäftsideen beginnen oft mit einem persönlichen Erlebnis, einer eigenen Betroffenheit. Bei Marcella Hansch war das ein Schreck beim Schwimmen vor den Kapverdischen Inseln im Jahr 2003, als plötzlich etwas ihre Beine streifte. Die Aachenerin dachte sofort an einen großen Fisch – und war dann doch erst einmal beruhigt, dass es sich nur um eine Plastiktüte handelte. „Das war mein Schlüsselmoment“, sagt die 32-Jährige heute. „Seitdem sehe ich überall Plastik – im Meer, am Strand, auf der Straße.“ Zuvor hatte sie dieses Ausmaß kaum wahrgenommen.

 

Zurück in Aachen, ließ die Studentin das Kunststoffproblem nicht mehr los. Sie machte es schließlich zur Abschlussarbeit ihres Masterstudiums. Hansch las sich über sechs Monate in das Thema ein. „Ich fing bei null an, stellte mir Fragen, wie die Ozeane entstanden sind, woraus Plastik eigentlich besteht, warum Mikroplastik giftig ist und wie es überhaupt im Meer landet. Ich saß in Vorlesungen über Kunststoffe und Maschinenbau, las sogar Jules Verne – ich wollte den ganzheitlichen Zugang zum Thema.“ Schließlich kam sie auf die Idee, eine Art Riesenkamm zu entwickeln: Es handelt sich um eine schwimmende Plattform, die das Mikroplastik an der Wasseroberfläche filtert.

"Wenn sich nichts ändert, gibt es bald in den Ozeanen mehr Plastik als Fische"

Marcella Hansch nennt ihr Verfahren „Pacific Garbage Screening“ (PGS), in Anlehnung an den größten Müllstrudel der Welt, den „Great Pacific Garbage Patch“. Jährlich werden weltweit über 300 Millionen Tonnen Plastik hergestellt, etwa ein Viertel für Verpackungen. Nur ein Teil davon landet nach dem Gebrauch auf Deponien, der Rest gelangt unter anderem in die Natur. Mehr als 150 Millionen Tonnen Kunststoffmüll schwimmen allein in den Meeren. Jährlich kommen rund acht Millionen Tonnen hinzu.

 

Größtenteils handelt es sich um Plastiktüten und Plastikflaschen. Ein Teil wird zurück an die Strände geschwemmt, doch das meiste verbleibt im Wasser. Es sinkt auf den Boden hinab, oder es schwimmt, angetrieben von Wind und Meeresströmungen, Hunderte Kilometer weit. Auf diese Weise sammeln sich in bestimmten Meeresregionen Strömungswirbel an. Und dort hält sich der Müll lange – bis zu 450 Jahre.

 

Große Kunststoffteile werden nur über die Jahre durch den Einfluss von Salzwasser und Sonnenlicht zu höchstens fünf Millimeter langem  Mikro­plastik zerrieben. Bei Tieren, die diese mit Schadstoffen belasteten Partikel zum Beispiel mit Nahrung verwechseln, gelangen sie dann in den Verdauungstrakt, führen zu Krankheiten oder zum Tode. Bekanntestes Beispiel dafür ist ein Wal, der im Juni 2018 in Thailand verendete: Nach seinem Tod wurden etwa acht Kilogramm Plastik in seinem Magen gefunden. Eine andere Spätfolge des Plastikmülls können Verbraucher zu spüren bekommen, wenn Plastikpartikel in Muscheln oder Speisefisch auf ihren Tellern landen.

 

Marcella Hansch hat während ihrer Recherchen gelernt, dass Kunststoff zwar leichter als Wasser ist, er jedoch durch Strömungen bis zu 30 Meter tief unter die Wasseroberfläche gedrückt werden kann. Und genau dort setzt die von der Architektin entwickelte PGS-Plattform an: Sie ist rund 400 Meter breit, wird auf See verankert und soll die Strömung so beruhigen, dass das Plastik aus bis zu 35 Metern Tiefe an die Wasseroberfläche aufsteigt, wo es dann abgeschöpft werden kann. Ersten Plänen zufolge sollte das auf diese Weise herausgefischte Plastik recycelt werden, doch das ist aufgrund der Schadstoffbelastung nicht möglich. Mit einem anderen Verfahren sollen die Plastikpartikel nun in Wasserstoff und Kohlendioxid aufgespalten werden. Wasserstoff kann als Energiequelle für die Plattform dienen. Mit Hilfe von Algen könnte das entstandene CO2 verwertet und zur Herstellung eines biologisch abbaubaren Kunststoffs verwendet werden.

 

Marcella Hansch begann nach dem Studium zunächst als Architektin zu arbeiten. Die PGS-Plattform sollte schließlich nur Inhalt ihrer Masterarbeit sein. Doch das Thema ließ sie nicht los. Immer wieder hielt sie Vorträge, stellte ihre Idee vor Publikum vor, informierte öffentlich über das globale Plastikproblem. Doch um die Plattform jemals bauen zu können, brauchte sie Partner, Investoren und wissenschaftliche Unterstützer.

Eher beiläufig, in einer Mittagspause im Jahr 2016, kam plötzlich Bewegung in das Projekt. Marcella Hansch hatte gerade ihre Idee am Institut für Wasserbau und Wasserwirtschaft der RWTH Aachen vorgestellt. Die Wissenschaftler waren überzeugt. Ein Team aus Biologen und Ingenieuren arbeitet seitdem daran, die Idee zu verwirklichen. An der Uni werden Abschlussarbeiten unter Studierenden ausgeschrieben, die zur Grundlagenforschung des Projekts beitragen. Das Bundesumweltministerium finanziert eine Promotionsstelle. „Aufgrund von Berechnungen wissen wir heute, dass das PGS-Prinzip funk­tioniert“, freut sich Hansch. Weiteren Auftrieb  gibt der Bundespreis ecodesign, den die Aktivistin 2016 verliehen bekam.

"Ich kann mehr für den Planeten tun, als am Schreibtisch zu sitzen"

Mit Partnern gründete sie inzwischen den gemeinnützigen Verein „Pacific Garbage Screening“. Um dem Projekt einen finanziellen Impuls  geben zu können, initiierte sie eine Crowdfunding-Aktion. „Wir wollten endlich feste Stellen generieren und Modellversuche durchführen können“, sagt Marcella Hansch. 230.000 Euro kamen auf die Weise zusammen, was wenigstens die Finanzierung bis Ende 2019 sichert. Ein Forschungsteam kann jetzt an einem Prototyp arbeiten, der in einem Fluss in Deutschland getestet werden soll. „Trotzdem brauchen wir aber eigentlich noch fünf Millionen Euro in der Hinterhand“, sagt Marcella Hansch. Allein eine dringend notwendige Machbarkeitsstudie würde bis zu sechs Millionen Euro kosten. Dass sie diese Mittel zusammenbekommt, bezweifelt die junge Gründerin nicht. „Ich habe einen ziemlichen Dickkopf.“

 

Neben der technischen Entwicklung sieht Marcella Hansch vor allem in der Aufklärung Bedarf. „Die Leute denken oft, sie trennen doch schon Müll. So schlimm kann es also nicht sein. Doch der gelbe Sack verschwindet nicht. Wir sehen ihn nur nicht mehr.“ Dabei könne jeder Mensch im Kleinen damit beginnen, den persönlichen Plastikverbrauch zu senken und der Umwelt damit aktiv zu helfen. Beispiele kann Hansch viele nennen: Kleidung in einem Beutel zu waschen, würde etwa verhindern, dass Mikrofasern über das Abwasser in Flüsse und schließlich ins Meer gelangen.

Die Architektin brennt für das Thema. Ihren gelernten Beruf vermisst sie dabei nicht. „Ich kann viel mehr für den Planeten und die Menschheit tun als am Schreibtisch“, sagt sie. „Ich lebe jetzt mein Weltretter-Gen aus.“

 

 

Dieser Artikel erschien erstmalig in WERTE 19 - "Nachhaltig denken und handeln".

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