Die Generation der Digital Natives entwickelt sich zu einer Kundengruppe mit hohen finanziellen Mitteln, aber zunehmendem Desinteresse an klassischen Luxusgütern.
Das werden auch Hersteller teurer Armbanduhren zu spüren bekommen. Eine Generation, deren Kommunikationsmittel Tablets und Smartphones sind, benötigt keine Uhr am Handgelenk, um die Zeit abzulesen – sie steht ja auf dem Display ihres digitalen Begleiters. Was bedeutet dieser Paradigmenwechsel also für die Uhrenindustrie, welche Chancen und Risiken bieten sich für sie durch diesen Bereich der Digitalisierung?
„Technisch betrachtet wurden Armbanduhren obsolet, als die Smartphones aufkamen“, erklärt Emily Still, Leiterin der Verkaufs- und Marketingabteilung Nordamerika der Schweizer Luxusuhrenmarke Carl F. Bucherer. Ihre Firma produziert seit 1888 in Luzern mechanische Uhren. „Für jüngere Generationen attraktiv zu sein, erweist sich eindeutig als Herausforderung in unserer Branche. Die aktuellen Trends um schnelle Mode und Technik haben die Anziehungskraft der handwerklichen Güte von Luxusuhren geschwächt.“
Lässige Jugendliche sind jedoch nicht die einzige Herausforderung. Die Exportzahlen Schweizer Uhren erfuhren zuletzt deutliche Rückgänge. 2016 sank die Exportsumme nach Aussage des Verbands der Schweizerischen Uhrenindustrie auf einen Sechs-Jahres-Tiefstwert von 19,4 Milliarden Schweizer Franken (fast 10 Prozent weniger als im Vorjahr).
Brexit und Luxusuhren-Marken
Doch es gab auch gute Neuigkeiten. Der englische Markt zum Beispiel profitierte von der durch den Brexit ausgelösten Schwächung des Pfunds, wodurch das Land plötzlich zur globalen Schnäppchen-Abteilung für Luxusuhren wurde. Der Handel nutzte das, etwa das Londoner Kaufhaus Harrods, das einen Anstieg an Uhrenverkäufen in Höhe von rund 200.000 Pfund verzeichnete. Die Uhrenhersteller reagierten und passten die Preise in England an.
Im Großen und Ganzen scheint sich die Laune der Branche weltweit zu heben. „Zu Jahresbeginn, nach einer sehr guten Genfer Uhrenmesse – der von Richemont veranstalteten, jährlichen SIHH-Handelsausstellung –, hatte ich den Eindruck, dass die Edeluhren-Branche ein Jahr der Fusionen dazu genutzt hat, neue Kräfte zu sammeln“, sagt Wilhelm Schmidt, Geschäftsführer des deutschen Uhrenherstellers A. Lange & Söhne. Er präsentierte in Genf neue Modelle seiner Einstiegsserie „Saxonia“ sowie hochkomplexe Modelle wie den neuen Tourbograph Perpetual „Pour le Mérite“. „Viele neue Uhrenmodelle richten sich an Kunden, die für ihr Geld Qualität und exklusive Designs suchen. Es scheint, dass diese Strategie aufgeht.“
Die Zahlen bestätigen das. Die letzten vom Verband der Schweizerischen Uhrenindustrie ermittelten Werte weisen ein Wachstum zwischen Mai und November 2017 auf. Der Verband stellte außerdem einen allgemeinen Trend „der fortgesetzten Erholung auf den Hauptabsatzmärkten“ fest. Was aber soll man mit den Käufern tun, die ihr Herz an digitale Gadgets statt an analoge Uhren verlieren?
Das Ringen um Digitalität
Smartwatches waren schon ein bedeutender Faktor in der Industrie, lange bevor 2015 die erste Apple Watch erschien. Manche Unternehmen beschlossen, es mit eigenen Smartwatches zu versuchen; andere propagierten, dass es sich nur um ein Strohfeuer handle, das keinen echten Einfluss auf klassische Uhren haben würde. Heute allerdings bieten viele traditionelle Marken netzfähige Modelle an: TAG Heuer, Louis Vuitton, Guess, Movado, Frederique Constant, Citizen, Montblanc und Michael Kors haben sich alle der digitalen Revolution angeschlossen.
Das Marktforschungsinstitut CCS Insight schätzt, dass im Jahr 2017 etwa 43 Millionen Smartwatches verkauft wurden (bis 2021 werden es wohl 86 Millionen sein), doch viele Hersteller und Händler von Luxusuhren spüren trotz der steigenden Zahlen keine Veränderung. Aurum Holdings bildet die größte Uhren-Einzelhändlergruppe Englands. Sie handelt online und in Einkaufszentren mit den Ketten Goldsmiths, Watches of Switzerland, Mappin & Webb und The Watch Shop. Ihr Geschäftsführer Brian Duffy sagt, die Gruppe habe „null Prozent Auswirkungen durch Smartwatches“ verspürt.
Aurum verkauft durchaus einige technisch aufgewertete Uhrenmodelle, ihr Bestseller ist die Connected-Reihe von TAG Heuer, die ihren Besitzern die Möglichkeit bietet, die Smartwatch nach zwei Jahren gegen eine traditionelle mechanische Uhr einzutauschen. Ein äußerst selbstbewusstes Zeichen der Marke, dass sie Offline-Uhren noch lange nicht abschreibt. Brian Duffy teilt diese Zuversicht. „Nur ein Prozent der Leute sagt, dass sie nach dem Kauf einer Smartwatch kein Interesse mehr an einer traditionellen Uhr haben“, erklärt er. „Manche wechseln im Laufe des Tages oder tragen sogar beides. Andere haben eine Uhr für die Arbeitswoche und eine für das Wochenende. Sobald man anfängt, Uhren zu tragen, entsteht eine Neigung, auch dabei zu bleiben. 60 Prozent der Käufer von Luxusuhren haben innerhalb der letzten fünf Jahre mehr als eine Uhr gekauft.“
Technik und Tradition
Ein stetig wachsender Trend bei Smartwatches ist verborgene Technik. Statt der prahlerischen Digital-Screens von Google, Fitbit und Samsung bieten die neuen Uhren traditionelle Analogdesigns, deren „smarte“ Funktionen im Armband oder der Schnalle versteckt sind. Rahul Kapoor, Mitbegründer des privaten Luxus-Uhrenarmband-Händlers Excedo Luxuria, sieht einen steigenden Wunsch nach maßgeschneiderten Armbändern mit verborgenen Elementen wie einem RFID-Transponder, der die Besitzer warnt, wenn die Uhr sich nicht dort befindet, wo sie sein sollte, oder einem eingebauten Türöffner für Autos. Kapoor hat bereits ein Modell für den Besitzer eines Aston Martin entwickelt, weil der sich 2014 geweigert hatte, die offizielle Türöffner-Uhr aus der Partnerschaft von Aston Martin und Jaeger-LeCoultre zu kaufen.
„Wir haben eine Menge Marktforschung betrieben“, sagt Duffy über die Zeit der analogen Uhren nach der digitalen Revolution. „Das Interesse an Luxusuhren beginnt bei Kunden mit 25 Jahren und erreicht mit 35 Jahren sein volles Potenzial.“
Tatsächlich könnten Smartwatches als Katalysator dienen statt als Markenkiller, sagt Uwe Ahrendt, Geschäftsführer der deutschen Designmarke Nomos Glashütte. „Die Smartwatch verändert mit Sicherheit den Markt, aber sie zieht auch neue Aufmerksamkeit auf das Handgelenk“, sagt Ahrendt, der erst kürzlich die Einführung einer neuen Uhrenreihe namens „Campus“ begleitet hat. Sie richtet sich mit Preisen knapp über 1.000 Euro an ein jüngeres Publikum.
Millennials – Zielgruppe mit Zukunft
Es scheint, als seien Millennials und die nachfolgende Generation Z tatsächlich nicht so desinteressiert an Luxusuhren, wie vielfach befürchtet – sondern einfach zu jung. „Wir dürfen nicht vergessen, dass die ältesten Digital Natives gerade einmal 20 Jahre alt sind und erst in einigen Jahren als Käufer für hochwertige Uhren in Frage kommen“, sagt Wilhelm Schmidt von A. Lange & Söhne. „Was jedoch stimmt, ist, dass kommende Generationen, die in einer digitalen Welt aufgewachsen sind, andere Werte besitzen und ein neues Konsumverhalten entwickeln könnten.
Eine bedeutende Rolle spielt die Nutzung des Internets bei Recherchen durch Kunden. Die Vielfalt an detaillierten Informationen über Uhren, die man nach Sekunden über eine Suchmaschine findet, ist erstaunlich, ebenso wie das Interesse an Uhren in sozialen Medien. Instagram-Stars wie Anish Bhatt von Watch Anish, der 1,7 Millionen Follower hat und inzwischen vierteljährlich sein eigenes Hochglanz-Uhrenmagazin veröffentlicht, befeuern eine neue Generation mit Lifestyle-Fotos und Erfahrungsberichten.
„Die Luxusuhren-Industrie muss die Trends in den sozialen Medien begrüßen und darauf reagieren, um sich erfolgreich bei dieser Generation zu etablieren“, rät Stoll, dessen Marke Audemars Piguet mit Influencern auf verschiedenen Social-Media-Plattformen zusammenarbeitet – und 1,2 Millionen Instagram-Follower an sich binden konnte. „Wenn man sich in den sozialen Medien einloggt, sieht man, dass viele junge Leute verzaubert sind von der Handwerkskunst, von der Tradition und der Kunstfertigkeit, die eine gute Schweizer Uhr ausmachen. Das ist die natürliche Reaktion auf alles Digitale in unserem Leben. Sie erfahren fast ausschließlich in virtuellen Räumen von Marken und Produkten.“
Lernen, mehr zu teilen
Auch wenn die Uhrenindustrie vielleicht noch stärker zeitlich verzögert auf den digitalen Wandel reagiert als andere Konsumgüterbranchen, wird ihr dennoch allmählich das Potenzial der digitalen Kommunikation bewusst: Rolex trat Facebook 2013 bei und postete Ende 2015 das erste Mal auf Instagram, Patek Philippe trat beiden Plattformen im März 2018 bei.
Andere könnten folgen. Und dann gibt es noch jene Firmen, die mit Hilfe von „Likes“ und „Shares“ groß geworden sind wie die britische Marke Farer, die ihre Uhren in der Schweiz fertigen lässt. Deren mechanische Taucheruhren mit wasserfestem Gehäuse, drehbarer Lünette und ETA-Automatikwerk gibt es bereits für rund 1.200 Euro.
„Die Möglichkeiten sind riesig“, sagt Farer-Mitbegründer Jono Holt über die nächste Generation von Uhrenkäufern. „Das sind Konsumenten, die etwas kaufen wollen, das ein Leben lang hält. Keine andere Generation war jemals so gut über das informiert, was sie kauft, wie unsere. In der Vergangenheit war Luxus oft von einem Hauch von Geheimnis umweht. Unserer Ansicht nach akzeptieren jüngere Generationen keine Geheimnisse mehr. Heute wollen sie Hintergrundwissen und Transparenz. Wenn etwas sehr viel kostet, wollen sie verstehen, wieso. Für die Luxusuhren-Branche, denke ich, bedeutet das, dass man sich viel weiter öffnen muss als in der Vergangenheit.“
Transparenz, Qualität und Attraktivität gepaart mit einem modernen Online-Profil – das klingt nach dem Erfolgsrezept für eine Dating-Plattform im Internet. Doch was der Liebe auf die Sprünge hilft, muss ja für die Luxusuhren-Branche nicht verkehrt sein. Wenn sie damit die Herzen der Digital Natives erobert, kann das der Beginn einer langen Beziehung sein.