Jedes Jahr treffen sich die besten Spieler und Teams der Welt auf 1.800 Meter Höhe in St. Moritz zum Snow Polo World Cup, von Fans auch als das „Wimbledon des Schneepolos“ gefeiert.

 

Die Stadt in den Bergen ist ein perfekter Urlaubsort. Hier scheint an 300 Tagen im Jahr die Sonne, und Schnee für Skifahrer gibt es in Hülle und Fülle. Sie liegt zudem auf einer spektakulären Route der Rhätischen Bahn. Und die Chalets in St. Moritz werden zu Preisen von 40 Millionen Euro und mehr gehandelt. Diese berauschende Mixtur aus Bergklima, unberührter Natur und Luxus zieht nicht nur Sportfreunde an, sondern auch eine glamouröse Schar Prominenter, Adliger und Vermögender aus aller Welt.

 

Schneepolo ist eine Erfindung des Hoteliers und Unternehmers Reto Gaudenzi, der den World Cup in dem Alpenresort 1985 gründete. Wer sich nur fünf Minuten mit ihm unterhält, wird von seiner Leidenschaft für den Sport eingenommen und von seinem Stolz darauf, welchen Einfluss dieser auf St. Moritz hatte. Die Stadt hat eine lange Geschichte als Gastgeber von Wintersportveranstaltungen: Schon zweimal, 1928 und 1948, fanden vor der prächtigen Bergkulisse Olympische Winterspiele statt. Seit langem gibt es hier Pferde- und Bobrennen sowie Regatten im Sommer.

 

Gaudenzi, dessen Sohn ebenfalls Schneepolo spielt, hat den World Cup fünfmal gewonnen. „Es ist mir so wichtig, dass die Menschen die Leidenschaft spüren, die wir alle hier haben“, sagt er. „Es ist unglaublich, wie viele Menschen die Veranstaltung anzieht und wie sehr sie seit dem ersten Mal gewachsen ist. Der ultimative Mix aus Sport, Geselligkeit und außergewöhnlichem Reiseziel macht den Ort einmalig.“ Im Laufe der Jahre wurden die Organisation und die technischen Voraussetzungen, die den Cup ermöglichen, immer ausgefeilter. So gibt es inzwischen Radar, Sonar und Wärmebildkameras, um die Dicke des Eises zu bestimmen. Die gesamte Veranstaltung erwirtschaftet für St. Moritz inzwischen mehr als zehn Millionen Franken jährlich. Gleichwohl, erzählt Gaudenzi während der Vorbereitungen für das nächste Turnier, ist die Leidenschaft für den Sport der Schlüssel zum Erfolg.

 

Wie kamen Sie zum Polospiel?

 

In den 1970er Jahren war ich im Schweizer Bobteam, und der Polomanager des spanischen Ortes Sotogrande war im englischen Team. So haben wir uns kennengelernt. Als ich die Aufgabe erhielt, ein Hotel im spanischen Marbella zu eröffnen, trafen wir uns wieder. Ich konnte bereits reiten und hatte Eishockey gespielt, da fühlte sich Polo wie eine ganz natürliche Fortführung an – es packte mich einfach. Schließlich ging ich nach Argentinien, um den Sport in einigen äußerst intensiven Monaten richtig zu erlernen, und ein Jahr später hatte ich ein Handicap von +3 und konnte 1980 tatsächlich den Gold Cup in Sotogrande gewinnen.

Was brachte Sie dazu, Schneepolo zu entwickeln?

 

Ich stamme aus St. Moritz, und wir veranstalten hier seit gut einem Jahrhundert Pferderennen auf dem See. Sobald ich anfing, Polo zu spielen, wuchs in mir auch der Wunsch, Turniere zu organisieren. Tatsächlich gibt es ein Sprichwort, wonach man, um gut Polo spielen zu können, entweder reich oder gut organisiert sein müsse. Noch besser beides. Nun, damals in den Achtzigern war ich eindeutig Letzteres. Polo auf den See zu verlegen, erschien mir eine völlig logische Weiterentwicklung des Sports, zumal auch die Hotel- und Tourismusbranche mitmachte. Der damalige Tourismusdirektor von St. Moritz, Hans Peter Danuser, und ich haben uns zusammengesetzt, und so entstand 1985 der erste Snow Polo World Cup. 

Den Sport in den Schnee zu verlegen muss einiger größerer Innovationen bedurft haben …

 

Wir hatten bereits den Vorteil, Pferderennen auf dem See veranstaltet zu haben, die Infrastruktur existierte also schon: die Bearbeitung der Eisdecke (die mindestens 40 Zentimeter dick sein muss), das Aufstellen der Zelte, der Tribünen und so weiter. Dennoch ist Polo anders als Pferderennen: Da viel gestoppt und gewendet wird, brauchen die Pferde festen Tritt, damit sie nicht wegrutschen. Außerdem würde sich Schnee in ihren Hufen sammeln. Die Lösung fand unser örtlicher Hufschmied, der einen Huf-Grip erfand: Ein Stück Leder zwischen dem Hufeisen und dem Huf verhindert, dass sich dazwischen Schnee ansammelt. Natürlich haben wir mittlerweile eine deutlich elegantere Lösung aus Kunststoff, aber es war erstaunlich, wie simpel und doch wichtig diese Lösung war – ein einfaches Stück Leder –, damit die ganze Sache losgehen konnte.

Was ist mit dem Ball? Die Temperaturen und die Höhe müssen doch die Materialien beeinflussen …

 

Absolut, und ein normaler Ball, wie er im Graspolo verwendet wird, würde im Schnee nichts nutzen – er ist zu klein, wird spröde und zersplittert beim Kontakt mit dem Schläger. Wir mussten die Größe ändern und im Inneren zwei oder drei Luftkammern einbauen, die den Aufschlag abfedern, damit der Ball nicht alle fünf Minuten regelrecht explodiert.

 

Was ist ihr unvergesslichster Augenblick aus dem ersten Snow Polo Cup? 

 

1985 hat es extrem stark geschneit, und alle Straßen waren gesperrt. Als wir die Pferde auf den Berg bringen wollten, mussten wir sie aus den Anhängern laden und auf einen Zug bringen – ein unglaubliches Abenteuer. Wir hatten 80 Pferde in den Waggons – stellen Sie sich den Lärm des Zuges vor –, und nur einen Betreuer für jeweils drei Pferde. Die Betreuer haben Drei-Stunden-Schichten geschoben, um die Pferde nach St. Moritz hochzubringen. Aber jeder hat es überstanden. Und als wir den Zug entladen haben – einige der Pferde hatten nie zuvor Schnee erlebt! Sie haben sich darin herumgewälzt, und plötzlich haben alle anderen Tiere mitgemacht. Ich werde niemals den Anblick von 80 Pferden vergessen, die so von Freude erfüllt im Schnee herumtollten. Das war unvergesslich. 

Wie gewöhnen sich die Pferde an die Höhe?

 

Es zeigt sich, dass Pferde, was Höhe betrifft, denselben physiologischen Rhythmus haben wie wir Menschen. Am ersten Tag euphorisch – man fühlt sich voller Energie wegen des gesunkenen Sauerstoffniveaus. Am zweiten und dritten Tag fällt die Energie ab, weil sich der Körper akklimatisiert. Danach passt er sich an und wird wieder „normal“. Wir achten sehr darauf, dass sich gut um die Pferde gekümmert wird und es ihnen gutgeht, weswegen wir sie eine Woche vor dem Turnier nach St. Moritz bringen, damit sie sich akklimatisieren und ausruhen können.

Wie sorgen Sie dafür, dass der Cup innovativ bleibt? Was bringt die Leute dazu, wiederzukommen?

 

Zum einen natürlich der Ort selbst – und das Klima. Die Leute sagen mir immer wieder: „Wir kamen hier hoch und fühlten uns, als hätten wir zwei Gläser Champagner getrunken.“ Nun, das stimmt, das ist wieder auf den Sauerstoff zurückzuführen! Es gibt also ein echtes, körperliches Gefühl der Euphorie, wenn man in St. Moritz ankommt. Außerdem ist es so eine einmalige Kombination aus seiner Lage und den prachtvollen Panoramen, den phantastischen Hotels und dem tollen Service. Mixen Sie dann noch die Spannung des Turniers hinzu, die Pferde, die Geräusche, die Gerüche und wer alles Jahr um Jahr zusammenkommt, um dabeizusein. Und dann noch die pure Freude und Liebe für den Sport, die die Menschen vereint – das ist wie ein berauschender Cocktail.

Der Cup ist mittlerweile ein bedeutender Wirtschaftsfaktor und Touristenmagnet für St. Moritz, das inzwischen als Synonym für Schneepolo steht. Worin sehen Sie den positiven Effekt der Veranstaltung für den Rest des Jahres?

 

Es ist eine ganze Kette von Veranstaltungen! Wir sind ein Deluxe-Wintersport-Reiseziel. Und der Snow Polo World Cup und sein Erfolg haben zu Luxushotels, Edelboutiquen und einer ganzen Reihe weiterer Geschäfte geführt. Die ganzen Veranstaltungen im Rahmen des Schneepolos – vom Turnier selbst bis zu den Partys – kreieren eine Atmosphäre der guten Laune und des guten Lebens, weswegen die Leute gern alles annehmen, was wir ihnen anbieten. Und wenn der Schnee schmilzt, sind der See und die Stadt auch im Sommer wunderschön.

 

Auf dem Snow Polo World Cup 2018 gab es einige Premieren – darunter die Teilnahme eines Teams aus Aserbaidschan.

 

Das stimmt – wir haben uns sehr gefreut, das Team aus Aserbaidschan zu empfangen, was noch aus einem anderen Grund einmalig ist: Es ist das einzige Team, das von seinem Land gesponsert wird, nicht von einer Marke, wie sonst üblich. Vor fünf Jahren habe ich den Polo World Cup in Aserbaidschan ins Leben gerufen. Es war also sehr aufregend, dass die Spieler jetzt nach St. Moritz gekommen sind. Aserbaidschan ist in vielerlei Hinsicht die Wiege des Polospiels, denn es war Teil des Persischen Reichs, wo Polo über Tausende Jahre gespielt wurde und als Chovgun bekannt war.

Es war auch das erste Mal, dass St. Moritz zwei weibliche Polo-Teamleiterinnen empfangen hat. Haben Sie das Gefühl, dass Schneepolo, oder Polo allgemein, bisher ein männlich dominierter Sport war?

 

Ich freue mich riesig, dass ich mit Melissa Ganzi, der berühmten amerikanischen Polospielerin, die regelmäßig in St. Moritz ist, und der beeindruckenden Janna Bandurko aus Russland dieses Jahr zwei weibliche Team-Kapitäninnen begrüßen durfte. Es gibt so viele phantastische und talentierte Spielerinnen in diesem Sport, und in den letzten Jahrzehnten sind viele neue hinzugekommen, aber es gibt mit Sicherheit noch nicht genug. Also, hoffentlich wird sich das ändern.

Ihr Sohn Tito ist ebenfalls ein versierter Polospieler – inwiefern ist der Sport für ihn heute anders als für Sie in den 1970er Jahren?

 

Als wir Polo gespielt haben, auch wenn wir wirklich in sehr guter Form waren, war das nichts im Vergleich zu heutigen Spielern – das sind echte Athleten! Wir waren das auch, aber wir haben die Bar nie verlassen, bevor sie geschlossen wurde. Ich habe etliche Angebote abgelehnt, neue Turniere zu gründen, weil die Umstände nicht die richtigen waren. Das ist nicht nur ein Geschäft, es ist auch eine Leidenschaft, und in vielerlei Hinsicht ist das wichtiger als die geschäftliche Seite. Es gibt einige interessante Projekte in der Pipeline, die angekündigt werden sollen, darunter etwas Großes in Kasachstan, aber im Großen und Ganzen liegt meine Aufmerksamkeit darauf, die wundervolle Energie und das Niveau zu erhalten, das wir hier erreicht haben.

 

Anna Wallace-Thompson ist Redakteurin für Kunst und Kultur in London.

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